Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67
Vor der Thüre aber hielt eine goldene Kutsche mit sechs rothgelben Pferden, die hatten hohe Federbüsche auf dem Kopfe, und die Bedienten waren in Roth und Gold gekleidet. Die halfen ihr in den Wagen, und als sie vor das Schloß kam, da stand der Prinz schon auf der Treppe, und führte sie in den Saal. Waren nun gestern schon Alle über ihre Schönheit und Pracht erstaunt, so staunten sie heute noch mehr, und die Schwestern standen und waren blaß vor Neid, und hätten sie gewußt, daß es Aschenbrödel war, sie wären vor Aerger gestorben.
Der Prinz aber wollte wissen, wer die fremde Prinzessinn wäre, woher sie gekommen, und wohin sie gefahren, und hatte deshalb Leute auf die Straße gestellt, die sollten Acht darauf geben, wo sie bliebe.
Aschenbrödel indeß tanzte mit dem Prinzen beinahe in einem fort den ganzen Abend, und gedachte in ihrer Freude nicht an Mitternacht. Auf einmal aber, als sie noch mitten im Tanze war, hörte sie den Glockenschlag, eilte zur Thür hinaus, und flog recht die Treppe hinunter. In ihrer Eil verlor sie einen von ihren Schuhen, und hatte nicht Zeit, ihn mitzunehmen. Und als sie den letzten Schritt von der Treppe that, da hatte es zwölf ausgeschlagen, und Wagen und Pferde waren verschwunden, und Aschenbrödel stand in ihrem grauen Aschenkleide auf der Straße. Zum Glück war es stockfinstre Nacht, daß sie niemand sah.
Aber der Prinz war ihr nachgeeilt, und fand auf der Treppe den goldenen Schuh; den hob er auf, als er aber unten vor die Thüre kam; da war Alles verschwunden. Die Leute auch, die zur Wache hingestellt waren, kamen und sagten, daß sie nichts gesehen hätten.
Aschenbrödel war froh, daß es nicht schlimmer gekommen war, und ging nach Hause, steckte ihr trübes Oellämpchen an, hängte es in den Schornstein, und legte sich in die Asche.
Es währte nicht lange, da kamen die beiden Schwestern auch, und riefen: »Aschenbrödel, steh' auf, und leucht' uns!« – Aschenbrödel gähnte, und that, als ob sie eben aus dem Schlaf erwachte. Bei dem Leuchten aber hörte sie, wie die Eine sagte: »Wer nur die verwünschte Prinzessinn seyn mag? ich wollte, daß sie wäre, wo der Pfeffer wächs't! Der Prinz hat nur mit ihr getanzt, und als sie weg war, hat er gar nicht mehr bleiben wollen, und das ganze Fest hat ein Ende gehabt!« – »Es war recht, als wären die Lichter mit einem Male ausgeblasen gewesen!« sagte die Andere. Aschenbrödel aber sagte dazu kein Wörtchen.
Nun gedachte der Prinz: Ist dir alles Andere fehlgeschlagen, so wird der verlorne Schuh die Braut auffinden helfen! Damit ließ er bekannt machen: Welcher der goldene Schuh paßte, die sollte seine Gemahlin werden. Aber Allen war er viel zu klein, ja manche hätten ihren Fuß nicht hinein gebracht, und wären die zwei Schuhe ein einziger gewesen. Endlich kam die Reihe auch an die beiden Schwestern, die Probe zu machen. Sie waren froh, denn sie hatten kleine, schöne Füße, und glaubten: Uns kann es nicht fehl schlagen; wäre der Prinz nur gleich zu uns gekommen!
Aber als die älteste Tochter den Fuß in den Schuh hineinprobirte, siehe, da fand sich, daß derselbe für den Schuh viel zu groß war. Da nahm die Mutter ihre Tochter bei Seite, gab ihr ein Messer in die Hand, und sagte: »Schneide dir immerhin ein Wenig vom Fuße ab. Thut es auch ein Bischen weh, – was schadet es, es vergeht bald, und du wirst Königinn.« Da ging sie in ihre Kammer, und schnitt ein Stück von dem Hacken ab, bis sie den Fuß in den Schuh hinein zwängte. So setzte sie sich in den Wagen, und fuhr zu dem Prinzen auf das Schloß. Aber als sie unterwegs war, da kamen um den Wagen ein Paar weiße Tauben geflogen, die riesen ein Mal über das andere:
»Schuh voll Blut,
Paßt nicht gut;
Hack'n abgehaut,
Falsche Braut!«
Und als der Wagen an das Schloßthor kam, setzten sie sich darauf, und wiederholten ihr Liedlein. Das fiel dem Prinzen auf, und als sie aus dem Wagen stieg, sah er ihr auf den Schuh. Da quoll das rothe Blut heraus, und er merkte, daß er betrogen wäre, deshalb schickte er sie mit Schimpf und Schande zurück.
Nun wollte die jüngere Schwester ihr Heil versuchen, und weil auch ihr der Schuh zu klein war, so schnitt sie sich vorne etwas von den Zehen ab, drückte sich den Schuh an, und stieg in den Wagen. Aber die weißen Tauben kamen und flatterten umher, begleiteten ihn bis an das Schloß, und sangen in einem fort:
»Schuh voll
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