Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67
rundgewölbte Decke war von einem himmelblauen, glänzenden Marmorstücke, und goldene Sterne bewegten sich daran, wie am Himmel. An dem einen Ende des Gemaches stand auf einem weißen Gestelle eine grüne Urne, die war aus einem Steine wie ein Blatt gearbeitet, und darauf lag die Schlangenköniginn mit ihrer Krone auf dem Haupte.
Das Mädchen war von Staunen und Schrecken ergriffen, als sie die große Schlange sah; die Königinn aber betrachtete sie eine Zeitlang mit unverwandtem Blicke, dann pfiff sie, und durch eine Oeffnung in der Wand kamen zwei andere Schlangen; die eine trug in ihrem Maule ein Halsband mit Edelsteinen, und die andere ein verschlossenes Kästchen in einem mit Diamanten besetzten Ringe; sie näherten sich dem Mädchen, und richteten sich empor, gleichsam als ob sie es ihr geben wollten. Das Mädchen zögerte anfangs, es zu nehmen; als ihr aber die Schlangen mit dem Kopfe zunickten, nahm sie es ihnen ab. In demselben Augenblicke aber ward sie in die Höhe gehoben, und stand in der Höhle, in die sie hereingetreten war. Sie ging hinaus, und kam auf dem Berg bald wieder zu ihrer kleinen Heerde, die trieb sie eilig nach Hause, und erzählte ihren Aeltern, was ihr begegnet war. Da öffnete sie das Kästchen, und fand darin eine prächtige Krone, die glänzte wie die Sonne am Mittag, denn sie war aus einem Diamanten gemacht. »Das ist eine Schlangenkrone,« sagte ihr Vater, »komm, laß uns zum König gehen, und ihm die Krone bringen.«
Da zog das Mädchen ihre Sonntagskleider an, und wollte das Halsband um ihren Hals legen, aber es war viel zu klein; da knüpfte sie noch ein rothes Band daran, und legte es so um ihren Hals, und ging mit ihrem Vater zum König.
Als sie vor den König kam, sprach der Mann: »Wir bringen Euch die Schlangenkrone, nach der Ihr so lange gesucht habt.« Dabei öffnete er das Kästchen, und zeigte ihm die diamantene Krone, die wie die Sonne glänzte.
Der König war hocherfreut, und ließ sich ausführlich erzählen, wie sie zu der Krone gekommen seyen.
Als sie mit der Erzählung fertig waren, da ward der König sehr nachdenklich; er sah das Mädchen an, und blickte dann wieder nach einem Bilde, worauf seine verstorbene Gemahlinn abgemalt war. Dann ließ er eine Dienerinn rufen, und sprach zu ihr: »Kennst du dies Mädchen?« Die Dienerinn aber hatte sie kaum angesehen, da rief sie laut: »Herr König, das ist Eure Tochter, die Euch als Kind geraubt worden ist; seht hier das Halsband, welches sie damals umgehabt hat, seht, wie ähnlich sie Eurer Gemahlinn sieht!«
Da erzählte auch des Mädchens Vater, als es der König begehrte, wie er das Kind gefunden, es zu sich genommen und erzogen habe. Der König erkannte nun, daß es seine Tochter sey, die als ein kleines Kind ihm geraubt worden war. »So ist denn die Vorhersagung erfüllt!« rief er aus; »ich habe mit der Schlangenkrone ein großes Glück erhalten; ich habe mein lange verlorenes Kind wieder gefunden.«
Hierauf ließ er dem Mädchen köstliche Kleider anziehen, und setzte ihr die kostbare Krone aufs Haupt; dem Manne aber, der sie erzogen hatte, schenkte er ein großes Land, und ließ im ganzen Reiche bekannt machen, wie er seine längst verloren geglaubte Tochter wieder gefunden habe. Darauf lebte er noch lange, freuete sich des Besitzes einer so vortrefflichen guten Tochter, und erreichte ein hohes, glückliches Alter.
13. Die Nelke.
◉ Die Nelke.
Vor langer, langer Zeit lebte einmal ein König, der ein braver und frommer Mann war. Er hatte noch keine Gemahlinn, und wollte lieber allein bleiben, als sich eine Frau nehmen, die nicht nach seinen Wünschen war.
Das Mädchen aber, wie er es sich wünschte, sollte ein gutes, frommes Herz haben, sanft und bescheiden, still und sittsam seyn; dabei galt es ihm gleich, aus welchem Stande sie wäre; auch sah er nicht auf Reichthum und auf Schönheit des Körpers, weil dergleichen vergängliche Dinge allein den Menschen noch nicht glücklich machen könnten.
Lange schon hatte er nach einem solchen Mädchen geforscht, aber es immer noch nicht finden können, und wenn er auch zuweilen glaubte, es gefunden zu haben, so sah er doch bald, daß er sich geirrt habe.
Nun stand er an einem Sonntagsmorgen, als eben die Leute zur Kirche gingen, am Fenster, und sah eine wohlgekleidete Jungfrau daher kommen, die recht andächtig und sittig mit in die Kirche ging, und es war, als stände auf ihrem
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