Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67
Gesichte geschrieben, daß sie von Herzen gut sey, und fromm und untadelhaft.
Da dachte er, die könnte wohl die rechte seyn, und als er hörte, daß sie ganz so war, wie er wünschte, so nahm er sie sich zur Gemahlinn, und beide waren recht glücklich, daß sie einander hatten; denn beide waren gleich fromm und gut. Aber noch weit glücklicher wurden sie, als der liebe Gott ihnen ein Prinzchen bescheerte, das recht munter und gesund war, worüber sie eine große Freude hatten.
Als nun der kleine Prinz getauft werden sollte, da sagte der König zu seine Gemahlinn: »Der liebe Gott hat uns das Kind geschenkt, er wird uns nun auch einen braven Gevattersmann schicken, der es recht gut mit unserm Kindlein meint. Ich will dieserhalb verkleidet und unbekannt ein wenig ausgehen, und der Erste, der mir auf der Straße begegnet, soll mein Gevatter, und unseres Kindes Pathe seyn.«
Das that er auch; und es begegnete ihm alsbald ein Mann, ganz einfach gekleidet, mit ernstem Angesicht, den eben niemand zu kennen schien. Er ging ihm nach, um zu sehen, wo er wohne, und erfuhr nun, daß er ein gottesfürchtiger Mann sey, der sich nicht viel mit der Welt abgebe, sondern er lebe ganz einsam vor sich hin, und thue Keinem etwas zu Leide, Vielen aber Gutes, jedoch im Stillen.
»Das ist mein Mann!« sagte der König, und ging zu ihm hin, und bat ihn zum Gevatter.
Der Mann nahm die Einladung des Königs an, und versprach zu kommen.
Als nun der Tauftag erschien, kam der Mann, und bat den König, daß er das Kind allein zur Kirche tragen dürfe, und daß die Kirche hinter ihm zugeschlossen werden sollte.
Das hatte aber ein neugieriger Gärtner gehört, und weil ihm der Wunsch des Mannes so seltsam vorkam, so schlich er sich vorher heimlich in die Kirche, und versteckte sich, daß er nicht gesehen werden konnte. Da merkte er auf Alles, was der Mann that und sprach, und sah, wie er das Kind auf seinen Armen zum Altar trug, und Zeichen über dasselbe machte, und nachdem er ein frommes Gebet gesprochen hatte, ihm die Gabe verlieh, daß Alles, was es wünschen würde, ihm gewährt seyn sollte.
Da ward der Gärtner froh, und sann sich Böses aus, und dachte: Das soll dir zum Vortheil seyn!
Als nun eines Tages die Königinn mit dem Kinde auf dem Arme, und von der Wärterinn begleitet, im Schloßgarten spazieren ging – da brach plötzlich aus dem Gebüsche ein Bär auf sie ein, der hatte zwei Hörner am Kopfe, Greiffüße und greuliche Krallen, damit entriß er der Königinn, die in Ohnmacht gefallen war, das Kind, und trug es fort, indem er brummte: »Ich will es fressen!« Die Wärterinn aber war vor Angst und Schreck gleich davon gelaufen, ohne sich um die arme Königinn weiter zu bekümmern.
Unterdessen hatte der König das Unglück erfahren, welches seiner Gemahlinn begegnet war, und lief eiligst in den Schloßgarten, ihr beizustehen. Sie hatte sich zwar schon wieder von ihrer Ohnmacht erholt; als sie aber ihr Kind nicht mehr sah, da fing sie bitterlich an zu weinen, und schrie und klagte: »Ach mein Kind, mein liebes Kind, das hat mir der Bär genommen und gefressen!« Da weinte und jammerte der König mit ihr, und beide waren trostlos, und konnten sich nicht zufrieden geben: denn sie hatten den kleinen Prinzen herzinniglich lieb, und große Freude an ihm.
Der Bär aber fraß das Kind nicht, denn es war kein wirklicher Bär; sondern der Gärtner, der den Mann in der Kirche behorcht, und sich nun vermummt hatte, um den Prinzen zu stehlen, damit er ihn einst zu seinem Nutzen gebrauchen könnte.
Damit aber niemand den Prinzen wiederfinden möchte, so trug er ihn weit, weit weg in einen Wald, wo lang und breit keine Menschen wohnten, als ein Förster, der sein alter Schulkamerad war. Dem erzählte er Alles, was sich mit dem Kinde zugetragen hatte, und stellte ihm vor, wie viel Gewinn sie einmal von der Habe des Prinzen haben könnten. Der Förster aber, der auch ein habsüchtiger Mann war, ließ sich bereden, nahm das Kind zu sich, und erzog es mit seiner Tochter, die Marie hieß, und von gleichem Alter mit dem Prinzen war.
Die Kinder wuchsen zusammen auf, und spielten und lernten mit einander, und ließen nicht von einander. Der Prinz wurde ein Jägersmann, und war brav und ehrlich, und Marie besorgte den Haushalt, und war sanft und fromm, dabei aber auch klug und schlau. Sie hatte schon öfters bemerkt, daß der Gärtner, wenn der Prinz im Walde war, heimlich viel
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