Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67
er plötzlich, indem er mit seiner vortrefflichen Riechnase schnupperte, »Frau, ich wittere Menschenfleisch!«
»Das wird das Kalb seyn, welches ich zu morgen geschlachtet habe,« antwortete die Frau.
»Nein, nein!« schrie der Popanz mit gewaltiger Stimme, »ich wittere frisches, junges Menschenfleisch!« Er schnupperte, und fand die armen Jungen unter dem Bette, und zog sie, einen nach dem andern, hervor.
»Hoh, Hoh!« rief er grimmig, »also willst du mich anführen? Warte, dich will ich zuerst fressen, und diese junge Brut dann hinterdrein! Es muß einen herrlichen Leckerbissen geben!« Der Mund wässerte ihm schon, und er nahm das wohlgeschliffene scharfe Schlachtmesser, das er immer mit sich führte, und wollte flugs die Kleinen abgurgeln.
Die Kinder fielen ihm zu Füßen, und wimmerten und flehten; umsonst! Da stellte ihm die Frau vor, daß er ja noch zu essen genug habe, ein Kalb, zwei Hammel und ein halbes Schwein, und wenn er die Kinder nun auch noch sogleich schlachten wollte, das viele Fleisch nur verderben würde.
»Frau, da hast du Recht!« erwiederte er, und ließ das schon gehobene Schlachtmesser wieder sinken. »Dazu kommt,« setzte er hinzu, »daß ich mir zu morgen ein Paar gute Freunde gebeten habe, damit wir einmal einen vergnügten Tag zusammen haben. Na, füttere die Krabauters, und bringe sie in's Bette; morgen früh sollen sie dran!«
Vergnügt, daß es ihr gelungen war, die Kinder zu retten, gab die gute Frau ihnen zu essen; aber die armen Kleinen konnten nichts genießen vor lauter Furcht.
Unterdeß hatte sich der Popanz wieder an den Tisch gesetzt, und da er sehr freudig war, so viel herrliche Leckerbissen im Hause zu haben, trank er heute Abend ein Gläschen zu viel, so daß er bald, ein Bißchen benebelt, das Bette suchen mußte.
Der Menschenfresser hatte aber sieben Töchter, die noch Kinder und sehr häßlich von Ansehn waren, obschon sie eine hübsche feine Haut hatten, welches daher kam, daß sie rohes Fleisch speisten, wie ihr Vater. Zwar waren sie noch nicht so bösartig, wie der alte Popanz, doch hatte man alle Hoffnung, daß sie es werden würden; denn schon jetzt bissen sie mit ihren scharfen Zähnen gern die Kinder, und saugten ihnen mit ihren großen Mäulern das Blut aus. Diese sieben Mädchen lagen alle zusammen in einem großen Bette, und schliefen, und statt der Nachtmützen hatten sie goldene Kronen auf den Köpfen.
In derselben Kammer stand ein anderes, eben so großes Bette. In dieses legte die Frau des Popanzes die sieben Knaben.
Wie nun Alles schlief, der Popanz und seine Frau, die kleinen Popanzmädchen und Däumlings Brüder, da stand dieser, dem einfiel, der alte Popanz könne wohl über Nacht noch Appetit bekommen, ein oder ein Paar Kinder zu speisen, oder sie zu schlachten, ganz stille auf, schlich zu dem Bette hin, worin die Mädchen lagen, und nahm ihnen leise die goldenen Kronen von den Köpfen, und setzte ihnen dafür seine und seiner Brüder Mützen, die Kronen aber sich und seinen Geschwistern auf.
Und richtig, wie er gedacht hatte, geschah es auch. Um Mitternacht wachte der alte Menschenfresser auf, und da er ein Mann war, der nicht gern auf den andern Tag verschob, was er denselben noch thun zu können meinte, so stand er auf, und sagte vor sich hin: Wollen mal sehen, was die kleinen Krabauters machen. Nun tappte er im Finstern in der Kammer herum, und kam an das rechte Bette, wo die Knaben lagen, greift aber zur völligen Sicherheit, weil es noch dunkel war, auf die Köpfe der Kleinen, und fühlt die goldenen Kronen. »Ei, ei!« murmelt er vor sich hin, »da hätte ich was Sauberes machen können; fürwahr, ich habe doch wohl gestern Abend ein oder zwei Becherchen zu viel getrunken!«
Damit ging er nach dem andern Bette, wo seine Popänzchen schliefen, und da er auf den Köpfen der Schlafenden die Mützen fand, brummte er: »Ach, da sind sie ja! Nun, ihr Bürschchen, dies Mal sollt ihr mir nicht davon kommen.« Und somit nimmt er sein Schlachtmesser gurgelt ihnen die Kehlen ab, saugt das Blut ein, und legt sich wieder in's Bette.
Der kleine Däumling hatte dies Alles bemerkt, und sobald er den Menschenfresser wieder schnarchen hörte in seinem Bette, weckte er schnell die Brüder, und sagte zu ihnen: »Steht auf, und zieht euch geschwind an, wir müssen fort!« Erschrocken sprangen die Brüder in die Höhe, stiegen durch das Fenster in den Garten, überkletterten die
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