Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Märchenmord

Märchenmord

Titel: Märchenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
Vom Netzwerk:
unwillkürlich ahmte Gina die Bewegung nach. Was musste sie sagen? Ihr Kopf arbeitete mit Hochdruck. »Oua-Alaicum-A-Salam«, fiel ihr wieder ein. »Mein Großvater«, erklärte Noah. »Der mit den Sprichwörtern?« »Genau!« Der alte Mann nickte wohlwollend und grinste, wobei eine lückenhafte Reihe von Vorderzähnen erschien. Eine Tür, vor der ein Perlenvorhang hing, führte auf einen kleinen Balkon. Er klirrte leise, als im Rahmen nun ein Mädchen erschien, das zwei oder drei Jahre älter als Gina war. Nur war sie kleiner… nein, das war es nicht. Das Mädchen saß in eine m Rollstuhl. Unwillkürlich zuckte Gina zusammen. Warum hatt e Noah nichts gesagt? Sie wäre vorbereitet gewesen . »Hakima«, stellte Noah das Mädchen vor, das auf ihn einsprach . »Meine Schwester. « »Was sagt sie? « »Sie will wissen, ob deine Haare wirklich echt sind. « Nie hätte Gina gedacht, dass ihre Haare einmal solche Bewunderung hervorrufen würden wie in Hakimas Augen, und dan n sagte diese auf Französisch: »Aber warum bist du so dünn? Maman, gib ihr schnell etwas auf den Teller, bevor sie verhungert. «
    *
    Gina brachte keinen Bissen mehr hinunter, so satt war sie. Sie wusste nicht, was sie gegessen hatte, aber es war das Beste seit Langem. Und, was das Wichtigste war, sie fühlte sich in Sicherheit. »Merci«, seufzte sie dankbar. »So etwas Gutes habe ich schon lange nicht mehr gegessen.« Der Großvater nickte freundlich, während Noahs Mutter ein Tablett mit Gläsern und eine dampfende Teekanne auf den Tisch stellte. Der alte Mann verteilte die zerstoßenen Kandisstückchen auf die bunten Gläser und übergoss sie mit dampfendem Tee. Ein Duft nach frischer Minze stieg auf. Das erste Glas reichte er Gina. Sie wehrte mit der Hand ab. »Nein, danke, es ist zu heiß.« Aber Noahs Großvater ließ nicht locker. »Du musst trinken«, sagte Noah, »sonst ist er beleidigt. Und du wirst sehen, der Tee erfrischt.« Der alte Mann grinste, wobei Gina feststellte, dass er höchstens noch fünf Zähne besaß, und dann sagte er etwas zu Noah.
    »Was sagt er? « Es war Hakima, die übersetzte: »Drei Gläser musst du trinken . So ist es Sitte bei uns. Die erste Tasse …«, sie hielt kurz inne , »schmeckt bitter wie das Leben, die zweite Tasse süß wie die Liebe und die dritte Tasse sanft wie der Tod. « Der alte Mann nickte zufrieden . Sanft, dachte Gina, nein, der Tod war nicht sanft. Sie spürte, wi e die Angst zurückkehrte. Das Gefühl von Geborgenheit löste sic h auf . »Immer hat er nicht recht, mein Großvater«, kommentiert e Noah. Er verdrehte die Augen . »Du sollst dich nicht über Großvater lustig machen«, schimpft e Hakima. »Er ist ein weiser Mann. « Noah drehte sich zu Gina um, zog eine Grimasse und entlockt e ihr damit erneut ein Lächeln. Sie atmete tief durch und lehnt e sich zurück, während Noah seiner Familie etwas auf Arabisc h erzählte. Es musste um sie, Gina, gehen, denn immer wieder fie l ein mitleidiger Blick auf sie. Ab und zu hörte sie Hakima lau t seufzen . »Was ist los?«, fragte sie Noah . »Ich erzähle von dem Mädchen«, antwortete er. »Und de m Mann, der hinter dir her ist. « Hakima sagte erneut etwas . »Was?«, fragte Gina . »Sie meint, dass der Mann von einem bösen Dschinn besesse n ist. « »Dschinn? « »Ein böser Geist, ein Dämon«, erklärte Noah ernsthaft . »Was, sie glaubt an Geister? « »Du etwa nicht? « »Nein! « Nun, Gina war nicht sicher, ob Noah an diese Dschinns glaubte, jedenfalls war da wieder dieses Lächeln in seinen Augenwinkeln, das sie unsicher machte. Dennoch, als er übersetzte, sah sie allgemeines Erstaunen in den Gesichtern seiner Familie. Was? Gina glaubte nicht an Geister? Wie war das möglich? Aber wie wollte sie sich dann vor dem schwarzen Mann schützen? »Ich weiß nicht«, antwortete sie zögernd und für einen Moment herrschte Stille in der Küche. Der Großvater rührte mit nachdenklichem Gesichtsausdruck in seinem Tee und schüttelte bedenklich den Kopf. Hatten sie recht? Wie konnte sie Nein sagen, wo sie bisher noch nicht einmal darüber nachgedacht hatte. Andererseits, Geister spielten in ihrer Welt keine Rolle. Hakima sagte etwas zu ihrer Mutter, die sogleich aufstand und aus dem Zimmer ging. Als sie zurückkam, hielt sie eine Kette mit einem blauen Anhänger in der Hand. Sie überreichte sie Gina. »Was ist das?« »Das Auge der Fatima«, antwortete Noah ungerührt und biss in einen Keks, der dick mit Mandeln belegt war. »Fatima?«

Weitere Kostenlose Bücher