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Märchenmord

Märchenmord

Titel: Märchenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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und zog an einer Strähne. Dabei lachte es laut glucksend. »Au!«, schrie Gina und musste dennoch grinsen, als sie sah, dass das Kind genau einen Zahn besaß, der vorne aus dem Mund ragte.
    Auch Noah lachte laut und dann fiel der ganze Bus ein. Ein Mann in einem bunten Kaftan rief Noah etwas zu und er antwortete. »Was hat er gesagt?«, fragte sie. Doch Noah grinste lediglich und zuckte mit den Schultern. Gina runzelte die Stirn. Sie kannte diesen Noah doch gar nicht und trotzdem fuhr sie hier mit ihm durch diese Gegend. War sie verrückt geworden? »Wie lange dauert es noch?«, wandte sie sich an Noah und löste gleichzeitig die Hände des Mädchens aus ihren Haaren, das daraufhin erschrocken zu weinen anfing. Noah warf ihr einen erstaunten Blick zu, dann schien er jedoch zu ahnen, was in ihr vorging. »Hast du Angst?« »Quatsch!« Dennoch wandte sie sich ab und tat so, als ob sie aus dem Fenster starrte. Am Horizont erkannte sie Hochhäuser, die sich aneinanderreihten. Sie hatten etwas Verschlossenes an sich, etwas Bedrohliches. Wie eine undurchdringliche Mauer, die niemanden mehr hinausließ, wenn er einmal die Schwelle übertreten hatte. Jedenfalls, Afrika hatte sie sich immer anders vorgestellt. Noah streckte die Hand aus. »Gleich sind wir da.« »Wohnst du etwa in einem dieser Häuser?« Gina legte absichtlich einen verächtlichen Ton in ihre Stimme, um ihre Angst zu überspielen. Doch Noah schien dies nicht zu stören. Er zeigte auf den Horizont. »Moment … ja, dort muss es sein. Fünfte Reihe, das dritte von links, zehnter Stock, zweites Fenster von rechts…das ist mein Zimmer.« Gina versuchte herauszufinden, welches er meinte, als sie erneut ein Grinsen in seinem Gesicht sah. Er verspottete sie. Offenbar war er einer dieser Dauergrinser, denen nichts heilig war. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass sie ebenfalls lächelte.
    Der Bus bog nun nach links in die erste der unendlich vielen Siedlungen ab, die aussahen, als seien sie einfach durch den Kopierer gejagt worden.
    *
    Vielleicht waren die Hochhäuser früher einmal weiß gewesen, doch nun waren die Fassaden schwarz von den Abgasen, dem Taubendreck und der Zeit, in denen nichts an ihnen gemacht worden war. Staubig und öde lagen die Straßen in der Nachmittagssonne. Wie in der Wüste. Afrika eben. Nein, Gina hätte sich nicht gewundert, wenn am Horizont eine Karawane Kamele aufgetaucht wäre. Die Kinder, die auf der Straße herumsprangen, sahen alle aus, als stammten sie in direkter Linie von dem schwarzen Mann ab. Es war nicht richtig, dass sie hier war. Sie hätte zum Theater fahren sollen, zu ihrer Mutter. Aber die war ja gar nicht da gewesen, um ihr zu helfen. Sie glaubte ihr nicht. Und irgendjemand hatte die Leiche des Mädchens verschwinden lassen. Wahrscheinlich der schwarze Mann. Und nun war er hinter ihr her. Ginas Herz begann zu klopfen. Worauf hatte sie sich eingelassen? War sie von allen guten Geistern verlassen? Unwillkürlich klammerte sie sich an den Sitz. Mein Gott, sie hatte nicht mehr als fünf Euro in der Tasche. Und das Handy war weg. Ganz davon abgesehen, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie das mit dem Telefon ihrer Mutter erklären sollte. Wenn Noah sie verließ, wie sollte sie dann in die Rue Daguerre zurückfinden? Der Bus schaukelte die Straße entlang. »Was hast du eigentlich zu mir gesagt?«, fragte Gina. »Wann?« »Am ersten Abend, als weder dieser Kommissar noch meine Mutter mir die Geschichte glaubten, da hast du mir etwas zugerufen. « Noah schwieg eine Weile und sagte dann etwas auf Arabisch . »Und was heißt das auf Französisch? « »Ein Löwe leiht dem anderen nicht die Zähne. « »Aha. Und was wolltest du mir damit sagen? « »Dass jeder seine Kämpfe alleine führen muss. Dabei kann einem keiner helfen. Nicht einmal die eigenen Eltern. « Eine Weile schwiegen sie beide, bis Gina meinte: »Aber du hilfs t mir doch. Warum? « Noah zögerte einen Moment. »Ich kann Gewalt und Unrech t nicht ausstehen. Ich sehe das jeden Tag. Ich möchte, dass e s aufhört. Einfach aufhört. Verstehst du? Außerdem…«Er brac h ab . »Was? « »Ich habe den Mann auch gesehen. « »Was? « »Ich habe mit ihm gesprochen. Vorher. « Gina erinnerte sich plötzlich. »Ja, ich habe dich gesehen. Wa s habt ihr miteinander geredet? « »Ich habe ihn gefragt, ob ich seine Schuhe putzen soll. « »Und? « »Er ist einfach weitergegangen. Da habe ich es gesehen. « »Was? « »Das, was du Messer nennst. « »Wie meinst du das? War es

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