Märchenwald Mörderwald
Aber er schien kleiner zu werden, so sehr hatte ihn meine Antwort geschockt. Doch dann fing er sich wieder und sagte: »Na, dann können wir nur hoffen, dass unsere beiden Schutzengel nicht blind geworden sind.«
»Das denke ich nicht.«
Auf der Lichtung hatten wir keine Veränderung erlebt. Es hätte uns auch nicht viel gebracht, wenn wir an diesem Platz geblieben wären. Es war besser, wenn wir uns außerhalb dieses Platzes umschauten.
Wir konnten uns die Lücke aussuchen und gingen nicht eben mit forschen Schritten. Unsere Blicke glitten dabei nach links und rechts, denn Aibon war keine Welt ohne Gefahren. Ich hatte dem Lord bewusst nichts über die Dualität des Landes gesagt, das auch eine verdammt grausame Seite besaß, die von Guywano, dem Druidenfürsten und mächtigen Magier, beherrscht wurde.
Wir merkten trotzdem, dass wir die normale Welt verließen, denn es änderte sich die Temperatur in der unmittelbaren Umgebung. Zwar wurde es nicht unbedingt kühler, aber die Gerüche nahmen an Intensität zu. Man konnte diese Umgebung mit der in einem Treibhaus vergleichen. Es war nur nicht so schwül.
Von einem Weg konnte man auch hier nicht sprechen. Es war nur ein schmaler Durchbruch, in den wir uns hineinschoben. Auch hier erlebten wir die Pflanzen als viel intensiver. Ein sattes Grün, von dem die bunten Farben der Blumen abstachen.
»Eigentlich ist es ja schön hier«, flüsterte der Lord. » Sorry , aber so sehe ich es.«
Ich nickte. »Der erste Eindruck mag stimmen. Aber täuschen Sie sich nicht. Aibon hat auch ein anderes Gesicht.«
»Sie kennen sich aus, nicht?«
»Ja.«
»Dann waren Sie schon öfter hier?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Und wo sind wir jetzt?«
Es war eine gute Frage, auf die ich leider keine Antwort geben konnte. Ich musste selbst noch raten und mir die Umgebung genauer anschauen.
Der normale Himmel war verschwunden. Was sich jetzt über unseren Köpfen spannte, war ein seltsames Zelt von unterschiedlichen Farben. Es leuchtete mal grün, mal blau, dann wieder in weiten Strecken türkis. Auch das war typisch für einen bestimmten Teil dieses verwunschenen Landes, das ich unter dem Begriff Zwischenreich kannte.
Ich wusste es noch nicht hundertprozentig, aber ein leichter Anstieg, der zu einem Hügel führte, wies schon darauf hin. Es war eine flache grüne Kuppe, von der aus ich mir eine bessere Sicht versprach. Und das bewahrheitete sich, als wir den Hügel erklommen hatten.
Ja, es war das Zwischenreich. Dieser schmale Streifen zwischen der Welt des Druidenfürsten Guywano und der des Druiden-Paradieses.
Wir sahen die näheren Berge, die mich manchmal an die Dolomiten erinnerten. Es waren auch die tiefer liegenden Seen oder Teiche zu erkennen, alles eingebettet in eine recht dunkle und grüne Landschaft. Ich war schon mal hier gewesen, als ich Hook, den Monster-Troll, gejagt hatte, aber das lag lange zurück.
Und jetzt stand ich wieder hier. Warum? War es nur ein Zufall gewesen oder hatte es andere Gründe? Bei diesen Gedanken rann es mir kalt den Rücken hinab, und ich dachte an einen bestimmten Ort hier in dieser Welt. An ihm stand ein besonderer Gegenstand: das Rad der Zeit.
Die Gedanken daran kamen mir automatisch, aber ich konnte sie zurückdrängen, denn die Gegenwart war wichtiger. Dass wir in diesen Teil des Landes gelangt waren, musste seine Gründe haben, und ich konnte nur hoffen, dass sie uns bald vor Augen geführt wurden.
»Das sieht hier recht heimatlich aus«, bemerkte der Lord. »Ist das eine Totenwelt?«
»Bestimmt nicht. Eine Totenwelt ist Aibon nie gewesen. Eher ein zweigeteiltes Paradies.«
»Der Teil hier bereitet mir keine Furcht.«
»Das ist auch gut so.«
Ich wollte den Lord beruhigen. Dass wir noch Ärger bekommen würden, lag auf der Hand, aber von welcher Seite er uns treffen würde, war nicht zu erkennen. Außerdem empfand ich es als Manko, dass ich zu wenig über diesen Teil des Landes Aibon wusste. Die anderen beiden waren mir besser bekannt.
»Es ist also nicht leer, sagen Sie.«
»Genau, Sir.«
»Aber ich sehe nichts.«
»Darüber können wir froh sein.«
»Und wo könnte sich – in welch einer Gestalt auch immer – meine Schwester aufhalten?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber um sie geht es ja weniger, wie Sie wissen.«
»Klar. Die beiden Bensons sind wichtiger.« Er schüttelte den Kopf. »Allmählich habe ich den Eindruck, dass wir sie nicht finden können und wir uns lieber Gedanken über unsere Rückkehr in
Weitere Kostenlose Bücher