Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Treffen von sich aus den Kontakt mit Gangemi abgebrochen habe. Ihn habe dessen Persönlichkeit abgestoßen, gab er an. Den Ermittlern zufolge, die sich für Saso, Praticò und Moio interessieren, spielte sich das Ganze aber ein wenig anders ab. Zwischen den beiden habe eine »prästabilierte Harmonie« geherrscht. Gangemi beauftragte im Vorfeld Michele Ciricosta von der Mafia-Zelle Ventimiglia damit, dem Kandidaten »behilflich« zu sein. »Ich hab zu Michele gesagt: ›Wenn ihr dazu meine Hilfe braucht, sagt es mir, sonst bin ich beleidigt, ich möchte es wissen.‹ Also hat er zu mir gesagt: ›Mimmo, ich denke genau wie du, dass er ein Freund ist, ein braver Junge, ich kümmer mich schon drum.‹« So versuchte der Boss den Kandidaten zu beruhigen, der ihn in seinem Obst- und Gemüsehandel besuchte. Und er fügt noch hinzu: »Alessio, das was ich tun kann, werde ich für dich tun.« – »Das sehe ich doch, du tust sehr viel für mich«, zeigt sich Saso befriedigt. Der Boss erwiderte: »Zum Glück sind wir hier in Genua, hier ist es ein bisschen anders, weißt du … Hier kann ich mich freier bewegen als in Kalabrien, verstehst du?« – »Klar, versteh ich das.« – »Hier hab ich alles im Griff. Ich hab da auch ein paar Landsleute, Verwandtschaft, irgendwas werde ich schon auf die Beine stellen … Wir müssen es schaffen«, unterstreicht der Boss seinen Einfluss hier wie dort.
Während des Gesprächs kommen sie auch noch auf einen anderen Kandidaten zu sprechen, der von einem gewissen Nunzio Rindo unterstützt wird. Rindo ist gebürtig aus Seminara in Kalabrien, wohnt in Ventimiglia und ist wegen mafiöser Umtriebe vorbestraft. Die Bestätigung hierfür erbringt die Durchsuchung der Villa eines anderen Paten. Die Ermittler fanden Visitenkarten und Telefonnummern von Alessio Saso, aber auch vom zurückgetretenen Bürgermeister von Ventimiglia, Scullino. Des Weiteren fanden sie eine Nachricht von Saso, bestimmt für den Paten, mit der Hand geschrieben: »Vielen Dank für alles, es hat wunderbar geklappt.«
Die Ermittler versuchen sich auch noch über einen anderen Sachverhalt Klarheit zu verschaffen. Es geht um ein geheimes Treffen zwischen Giuseppe Marcianò von der Mafia-Zelle Ventimiglia, einem Verwandten von Gangemi, und Saso. Eine Begegnung, die »bestimmte Interpretationen über den Inhalt der Gespräche zwischen dem Stadtrat und der kalabrischen Seite zuließ«. Offenbar nach dem Motto: »Gebe, so wird dir gegeben«, wie die alten Römer sagten. Jedenfalls legt das der noch im Gang befindliche Rechtsstreit zwischen dem Finanzamt und einigen Firmen Gangemis nahe, bei dem herauskam, dass Saso ihm zugesagt habe – wie es dann auch kam –, dass er die drohende Geldstrafe für den Boss verhindern werde. Wie die Spitze eines Eisbergs wird so ansatzweise das ganze Ausmaß der Korruption in Ligurien sichtbar.
»Nein, nicht in der Öffentlichkeit«, sagt Saso, der genau weiß, wer die beiden Männer sind, die ihm anbieten, ihn bei seiner Kandidatur zu unterstützen. Er will sie an einem unauffälligeren Ort treffen. Sie heißen Vincenzo La Rosa und Massimo Gangemi. Letzterer ist der Neffe des Paten von Genua, Domenico Gangemi. Ein paar Tage später trifft er die beiden im Wahllokal von Arma di Taggia, in der Umgebung von Imperia. Das Angebot ist verlockend. Die Mafiosi stellen ihm tausend Stimmen in Aussicht. »Ergebnis einer vorher erprobten Technik«, wie La Rosa formulierte. »Der hatte bereits einen Teil seiner Ziele erreicht, weil sein Kandidat Eugenio Minasso ausreichend Stimmen erhalten hatte, um ins Nationalparlament einzuziehen.« Minasso, im regionalen Parteivorsitz der PdL, wurde während der Feiern zum Abschluss des Wahlkampfes zusammen mit den Mafiosi Michele Pellegrino und Giovanni Ingrasciotta fotografiert (Micheles Brüder wurden im August 2010 zusammen mit einigen anderen Clan-Mitgliedern der Mafia-Zelle Ventimiglia verhaftet). Ingrasciotta ist ein Unternehmer und gab zu, Matteo Messina Denaro persönlich zu kennen. Minasso räumte seinerseits ein, Hilfe – allerdings nicht finanzieller Art – von Pellegrino erhalten zu haben. Er stritt rundheraus ab, jener Politiker zu sein, der den gefundenen Unterlagen zufolge von Pellegrino 200.000 Euro bekam.
Saso, dem Verwandten von Gangemi und La Rosa, hätten diese versprochen, dass er sich »breiter Unterstützung« sicher sein könne. Im Gegensatz zur »einfachen« Unterstützung, wie La Rosa betonte, die lediglich darin bestünde, Stimmen in der
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