Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Wahlkreis-Gemeinde zu beschaffen. Saso wurde dann auch tatsächlich gewählt, mit der zweitbesten Stimmenzahl, und mit 1300 Stimmen Vorsprung vor den restlichen, nicht gewählten Kandidaten. Das belegt den Ermittlern zufolge »theoretisch den Einsatz von rund tausend gekauften Stimmen« seitens der ’Ndrangheta Liguriens.
Das von den Clan-Mitgliedern geknüpfte Netz umfasst noch mehr Politiker. Gegen sie wurde im Gegensatz zu Saso, Praticò und Moio nicht ermittelt. Aber die Leichtigkeit, mit der Politik und Mafia miteinander in Kontakt treten, ist beunruhigend. Die Bosse der ’Ndrangheta in Ligurien sind im wahrsten Sinne des Wortes gefragte Leute. Viele Politiker sind daran interessiert, von ihnen politische Unterstützung zu erhalten. Manche zogen aus solch einer Unterstützung Nutzen, andere nicht. Wieder andere sind über soziale Kontakte mit den Mafia-Bossen verbandelt. So wie Pietro Marano, ein Kandidat der UdC bei den Regionalwahlen, gegen den bisher ebenfalls nicht ermittelt wurde. Er war einige Zeit Mitgesellschafter einer Firma des Paten Onofrio Garcea. Aber bevor der Mafia-Boss verhaftet wurde, verließ Marano die Finanzholding. Für die Ermittler steht fest, dass Garcea einen Teil seiner Einnahmen aus Zinswucher generierte.
Die Beziehung zwischen Garcea und Marano bestand bis kurz vor den Wahlen. »Er organisierte wichtige Unterstützung für den Wahlkampf von Pietro Marano.« Garcea bot ihm sogar vierzig garantierte Stimmen seines Clans an. Aber dann hatte Gangemi für die Mafia eine neue Direktive erlassen und Garcea zog sein Angebot wieder zurück. »Stimmt für Praticò!«, galt nun für die Mafia-Zelle aus Genua, »Stimmt für Saso!«, für die Zelle aus Imperia.
Mafia-Boss Garcea interessierte sich auch für die Kandidatur von Cinzia Damonte, der Beigeordneten für Städtebau der Gemeinde Arenzano bei Genua. Sie trat für die sozialliberale Partei
Italia dei Valori
(dt.: Italien der Werte) bei den Regionalwahlen 2010 an. Ein Foto zeigt sie, wie an einem Essen der kalabrischen Gemeinde teilnimmt und dabei neben Boss Garcea sitzt. Mit ihm zusammen verteilte sie auch Wahlflugblätter. Ob es darüber hinaus weitere Kontakte zwischen beiden gab, müsste noch untersucht werden.
Zu Beginn der sechziger Jahre wurde der Mafia-Boss von Gioiosa Ionica (Kalabrien), Francesco Mazzaferro, ins oberitalienische Val di Susa (an der Grenze zu Frankreich) in die Verbannung geschickt. Aus dem Nichts baute er in kürzester Zeit eine Firma für Erdarbeiten und Autotransporte auf und eroberte innerhalb weniger Jahre das Monopol auf beiden Gebieten für die gesamte Region. Zugleich verbreitete sich das Gerücht, dass Mazzaferro an einer Geldwäscheaffäre mit Mafia-Geldern beteiligt sei.
Das Baugeschäft war nur der offizielle Teil der Aktivitäten Mazzaferros. 1984 wurde er erstmals festgenommen. Die Anklage warf ihm Heroin- und Kokainhandel vor, den er entlang der Bahnlinie Turin-Modane aufgezogen habe. Die Untersuchung erstreckte sich auch auf die Manipulation öffentlicher Ausschreibungen im oberen Susa-Tal. 1987 verurteilte das Schwurgericht Mazzaferro zu 18 Jahren Haft. Als er 1993 in Bardonecchia erneut verhaftet wurde, wiederum wegen Drogenhandel, verschwand er für lange Zeit hinter Gittern.
Im Schatten Mazzaferros hatte in der Zwischenzeit ein anderer Mafioso mit dem Namen Rocco Lopresti Karriere gemacht. Auch er stammt aus Gioiosa Ionica und trat das Erbe von Mazzaferro innerhalb der Mafia-Zelle von Bardonecchia (Susa-Tal) an. Dem Kronzeugen Francesco Fonti zufolge war die Mafia-Zelle von Bardonecchia ein Ableger der ’Ndrangheta und existierte seit den siebziger Jahren. Eine neue Mafia-Zelle zu schaffen ist keine Kleinigkeit. Denn dazu braucht man nicht weniger als 48 Gefolgsleute. Darüber hinaus benötigt man noch die entsprechenden Kader für die verschiedenen ’Ndrangheta-Hierarchie-Stufen, von den einfachen Schlägern und Fußsoldaten zu den
Sgarri di Sangue
(dt.: Bestrafer), von den
Santisti
(dt.: Heilige) bis zum
Vangelo
(dt.: Evangelium) an der Spitze. Jedes einzelne Mitglied wird von der obersten Instanz, der
Mamma
, dem obersten Boss der Clans der Hochburg San Luca, geprüft.
Die Mafia-Zelle von Bardonecchia, so berichtete Fonti weiter, sei zusammen mit der in Turin entstanden. Lokaler Boss sei Francesco Mazzaferro gewesen. 1992 begann dessen Abstieg, gleichzeitig kam aus Kalabrien Lopresti ins Susa-Tal, der sofort in großem Umfang Kontakte zu Institutionen knüpfte, so etwa zum
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