Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
weiteren Unternehmen mit Sitz in Modena.
In der Untersuchung warf man Rocco Baglio vor, einen Brandanschlag auf die Villa eines konkurrierenden Bauunternehmers verübt zu haben. Außerdem soll er in den örtlichen Fußballverband,
Serramazzone Calcio
, eingebrochen sein. Er wurde beschuldigt, die Trikots entwendet, auf einen Haufen geschichtet, mit Dieselöl überschüttet und dann angezündet zu haben. Bürgermeister Ralenti streitet ab, Baglio irgendwelche Vergünstigungen verschafft zu haben. Stattdessen betont er, mit Baglio nur offizielle Kontakte unterhalten zu haben. In einem Interview widerspricht der Boss dieser Darstellung: »Wir sind eng befreundet.«
Ich habe mich mit dem Sohn von Rocco Baglio, Michele, verabredet. Ich wollte ihn persönlich kennenlernen und herausfinden, seit wann sein Vater und er Ralenti kennen. Michele bleibt dabei, dass es mit dem Bürgermeister keine freundschaftlichen Beziehungen gibt. »Wir haben ihn 2008 kennengelernt, als wir an der Ausschreibung teilgenommen haben.« Nichts weiter. Die angebliche Freundschaft mit dem Bürgermeister sei eine Erfindung der Journalistin, die den betreffenden Artikel verfasst habe, betont er. »Man hat meinem Vater die Worte im Munde herumgedreht«, erklärt er. Dann erzählt auch er von den Brandanschlägen. »Die Ausschreibung haben wir 2007 gewonnen, unsere Firma begann 2008 mit den Arbeiten, die Brandanschläge fanden 2009 statt. Welchen Grund hätten wir haben sollen, Brandanschläge gegen einen Wettbewerber zu verüben, der gar nicht an der betreffenden Ausschreibung teilgenommen hatte, und für die wir den Auftrag schon längst in der Tasche hatten?«
Nachdem Michele Baglio einige Jahre als Angestellter einer Firma aus Modena gearbeitet hatte, beschloss er sich selbständig zu machen. »Wir sind für die Legalität. Wenn es diese kriminelle Verwicklungen wirklich gäbe, die uns die Ermittler unterstellen, wie erklären sich dann die geringen Gewinnmargen unserer Firma? Darüber hinaus verrate ich Ihnen gern, dass wir gar nicht an Ausschreibungen teilnehmen, bei denen Konkurrenten maximale Preisnachlässe anbieten. Das würde unsere Gewinnmarge völlig auffressen. Wenn man die Regeln respektiert, ist es unmöglich, ein bestimmtes Preisniveau zu unterschreiten.«
Wir sprechen auch über vorgetäuschte Konkurrenz. »Das ist der Punkt«, sagt er, »wir machen alles genau nach den Buchstaben des Gesetzes. Man sollte gegen die Firmen ermitteln, die das nicht machen. Ich finde es unfair, wegen dieser alten Geschichten immer noch den Namen meines Vaters ins Spiel zu bringen. Das ist Effekthascherei, weil es bequem ist, weil es Schlagzeilen und Auflage garantiert.« Aber die Vergangenheit seines Vaters, frage ich ihn, ist doch die, die in den Gerichtsakten festgehalten wurde. »Sicher, ich will da gar nicht drumherum reden. Aber jeder macht mal Fehler. Mein Vater hat für seine Schuld gebüßt. Ihn aufgrund dieser Fehler auf ewig zu brandmarken, obwohl er sich inzwischen völlig von seiner Vergangenheit losgesagt hat, halte ich für ungerecht. Es stimmt auch nicht, dass er hinter meinen Firmen steckt.« Über die sich im finalen Stadium befindenden Ermittlungen verliert er kein Wort. »In den Akten gibt es ein Foto, das mich auf der Baustelle zeigt. Aber das ist doch selbstverständlich, ich bin doch der Geschäftsführer, regulär eingetragen, wie es beim Finanzamt hinterlegt ist. Da ist alles regelkonform abgelaufen.«
Rocco Antonio Baglio, das geht aus den Schlagzeilen und den Gerichtsakten hervor, hat die Geschichte der mafiösen Unterwanderung Modenas bis in die neunziger Jahre geprägt. Geboren in Polistena, einem Ort auf der Ebene von Gioia Tauro (Kalabrien), wurde er 1979 vom Gerichtshof in Reggio di Calabria nach Fiorano Modenese (bei Modena) verbannt. Hier hat er sein Netzwerk aufgebaut. Dazu gehören auch namhafte Selbständige der Region. Ein Beispiel hierfür ist die Geschichte mit Renato Cavazzuti, der 1994 Kronzeuge der Justizbehörden wurde. Seine Erlebnisse hat Enzo Ciconte in dem Buch
Mafia, camorra e ’ndrangheta in Emilia Romagna
aufgezeichnet. Das war die erste gründliche Publikation über die Mafien und ihre Umtriebe in der Po-Ebene.
Anfang der achtziger Jahre leitete Cavazzuti die örtliche Filiale der
Cassa di Risparmio
(dt.: Kreissparkasse) in Modena. 1986 hörte er dort auf, um eine neue Arbeit bei der Berlusconi-Firma
Fininvest Programma Italia
aufzunehmen. Drei Jahre später verließ er die
Fininvest
wieder und
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