Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Mansarda
. Die Mädchen reisten, wie der Kronzeuge Rocco Varacalli erzählt, in der Regel »über Bovalino [Kalabrien] nach Italien ein. Er ließ sie dort für sich arbeiten, als ›Unterhaltungsdamen‹. Prostitution ist eigentlich ein unwürdiges Geschäft für einen ›Ehrenmann‹ der ’Ndrangheta. Und wurde von
Natino
[Brunos Vater Fortunato Iaria] nicht gutgeheißen. Er hatte Angst vor Polizeikontrollen, bei denen auffliegen konnte, dass die Mädchen keine regulären Aufenthaltsgenehmigungen hatten. Doch Natino ließ zu, dass Barbaro weiter Mädchen in den Club schleppte. Er wollte einem höheren Führungskader der ’Ndrangheta gegenüber nicht respektlos erscheinen. Und er wollte vermeiden, dass Barbaro ihn an Antonio Agresta ›auslieh‹, um für diesen Aufträge auszuführen und Gefälligkeiten zu organisieren.«
Dass die Mädchen über Bovalino ins Land kamen, wird auch durch eine abgehörte Unterhaltung des ermordeten Paten Gioffrè bestätigt. »Unser Kumpel Peppe hat mir erzählt, dass er noch zwei Mädchen in Bovalino habe. Ich hab ihm gesagt, dann bring sie doch mit. Das hat er auch getan. Jetzt sind sie hier. An die darf keiner ran, da ist er sehr eifersüchtig. Kumpel Natino, der ihm den Unterhalt zahlt, kann der sich so einen Luxus leisten wie Kumpel Peppe?«
Piemonteser Geschäfte, die den scharfen Geruch von Kokain verströmen. »Wir gehen zusammen joggen. Ich bin einfach zu fett geworden. Ich muss wieder ein paar Kilo runterkriegen.« Mit den überflüssigen Kilos ist aber kein Fett gemeint, sondern Kokain. Es handelt sich um Codeworte, abgesprochene Formulierungen, Gesprächspausen, die mehr sagen als tausend Worte.
Die Drogenhändler der Clans haben einen Cordon der Geheimhaltung um sich herum errichtet. Pasquale de Carolis ist zusammen mit seinem Bruder Costantino der norditalienische Repräsentant von Giuseppe Nirta, dem flüchtigen Boss, der es geschafft hat, ein unsichtbares, aber luxuriöses Leben zwischen dem Valle d’Aosta und Lloret de Mar in Spanien zu genießen. Den Ermittlern zufolge ist er die zentrale Steuerungsinstanz für den Drogenhandel der ’Ndrangheta. Bei ihm werden die Kokainlieferungen bestellt, vermittelt durch De Carolis, Gioffrè, Iaria, Agresta, Praticò und Mangono. »Dann nehm ich die Schweinewurst und die Salami.« Auch das ist eine kodierte Mitteilung. Tatsächlich geht es in dieser Unterhaltung zwischen den beiden Bossen um das »weiße Gold«. »Wie ist eigentlich der Preis?« – »1,5 Millionen Euro«, erklärt Gioffrè seinem Sohn Arcangelo die Importprojekte.
Kokainflüsse überschwemmen Italien. Piemonte, Emilia-Romagna, Lombardei. Ein breiter weißer Strom flutet die Halbinsel. Die Ermittler beobachten abgehende Lieferungen in Bovalino, Platì und Rom. Mit Zielen in Spanien, Belgien und Frankreich. Von dort trifft das Kokain auf den Lkws vertrauenswürdiger Spediteure wieder in Italien, diesmal in der Emilia Romagna und in Piemont, ein. Einer der Mafiosi, die mit der Organisation des Kokaintransports beauftragt waren, war Antonio Pagliuso, der »
Crimine
logistisch beim Transport der Substanzen unterstützt«. Er ist der Bruder von Fortunato, der 2010 zusammen mit anderen Clan-Unternehmern der Region Crotone (Kalabrien) und der Emilia-Romagna verhaftet wurde. Beide waren Gesellschafter der
Bazzoni Autotrasporti GmbH
in Gualtieri bei Reggio Emilia. Pagliuso unterstanden darüber hinaus zahlreiche Kuriere ausländischer Staatsangehörigkeit, die in Modena wohnten.
Wie immer geht es um die Achse Piemont-Emilia. Daraus ergibt sich eine neue Geschäftsidee. Ziel der Clans ist es, in den Nachtlokalen das Kokain immer in ausreichenden Mengen vorrätig zu haben. Kokain und Nachtclubs. Eine einträgliche Verbindung, wie sie im Gespräch über einen anderen Club ihre Bestätigung findet. »Wir suchten meinen Cousin auf, der eine Discothek hat. Er war einverstanden, vorausgesetzt wir liefern es ihm so zuverlässig wie Gottes Boten.« Der Cousin, über den hier gesprochen wird, ist Natale Surace, Eigentümer eines angesagten Lokals im Zentrum von Bologna. Er wird während der Operation »Marte« gefasst, die sich gegen die Clans von Romeo »U Staccu« und Giampaolo »Russello« aus San Luca richtete.
Auch unter den mittelalterlichen Zwillingstürmen im Zentrum Bolognas haben die Clans aus San Luca mittlerweile Fuß gefasst. Sie betreiben Pizzerien, Bars und verticken Kilo um Kilo Kokain. Ärzte, Anwälte, Selbständige, Unternehmer gehören zu ihren Kunden.
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