Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
dem Terror der Mafia-Clans ausgeliefert zu sein. Sie wollten den Demütigungen entfliehen, welche sie in ihren Heimatregionen durch die ’Ndrangheta erfahren hatten. Was viele von ihnen nicht ahnten, war, dass die Clans schon in den siebziger Jahren damit begonnen hatten, ihr wirtschaftliches Interesse auf den Norden Italiens zu richten, auf die wirtschaftlichen Paradiese, ideale und sichere Orte für Geldwäsche, Erpressung, Drogenhandel und Korruption. So war es den Mafien möglich, ihre blutigen Drogengelder zu waschen und in den legalen, boomenden Wirtschaftskreislauf Norditaliens einzuschleusen.
Die Bosse sind sehr anpassungsfähige Potentaten, denen an Unauffälligkeit um jeden Preis gelegen ist, um ihren legalen und illegalen Machenschaften in Ruhe nachgehen zu können. Ihr Geheimnis: sie setzten zwischen der legalen und der illegalen Wirtschaft eine Osmose in Gang. Heute sind beide fast schon untrennbar miteinander verbunden, ein Gutteil des famosen Wirtschaftswachstums geht auf diesen Mechanismus zurück.
3.
UNEHRLICHE KONKURRENTEN
In der Region Modena gibt es 570 Bauunternehmen, deren Eigentümer aus den süditalienischen Mafia-Hochburgen um Caserta stammen. Nicht alle stehen unter dem Einfluss der Mafia. Siebzig bis achtzig Prozent von ihnen haben eine reine Weste, aber die restlichen sind Mafia-Betriebe.
Mafiosi von heute verbinden Grausamkeit mit Gespür für profitable Geschäfte, Dreistigkeit mit Allmachtsgefühlen. Eine explosive Mischung, die sich von Zeit zu Zeit in einem Kugelhagel entlädt. Am 8. Mai 2007, einem Frühlingstag wie vielen anderen, an dem die Sonne über der Po-Ebene mühsam versuchte, die Vormittagsnebel zu durchdringen und die Gegend zu erwärmen und ein kühler Wind über die Gesichter der Menschen strich, passten in Riolo, einem Vorort von Castelfranco Emilia, zwei Killer den Bauunternehmer Giuseppe Pagano ab und schossen ihm in die Beine.
Pagano stammte aus der Camorra-Hochburg San Cipriano d’Aversa und war vor Jahren in die Region Modena gezogen, wo er zusammen mit einem Geschäftspartner eine kleine Baufirma und ein Immobilienbüro betrieb. Die aufsehenerregende Aktion wurde am helllichten Tag ausgeführt. Sie erfüllte zweifellos ihren Zweck: dem Opfer wie auch allen anderen Wankelmütigen Angst und Schrecken einzujagen.
Auftraggeber dieses Anschlags war Raffaele »Rafilotto« Diana, Clan-Chef aus Casal di Principe. Diana, der im bereits erwähnten »Spartacus«-Prozess zusammen mit anderen Casalesi-Bossen zu lebenslanger Gefängnisstrafe verurteilt worden war, befand sich zum Zeitpunkt des Attentats auf der Flucht. Er gehörte damals zu den dreißig meistgesuchten Straftätern Italiens. Drei Jahre zuvor war er während eines Freigangs aus dem Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Sant’Anna di Modena geflohen und war fortan unauffindbar geblieben. Erst am 4. Mai 2009, fast genau zwei Jahre nach dem Attentat auf Pagano, gelang es, ihn wieder zu verhaften.
Die Beamten der
Squadra Mobile
(dt.: Mobiles Einsatzkommando) spürten ihn in Casal di Principe auf, der Hochburg des Clans. Dort hatte Diana sich in einem kleinen Betonbunker im Keller eines Wohnhauses verborgen gehalten. Die einzigen dort im Bunker vorhandenen Unterhaltungsangebote waren ein Buch über den berühmten süditalienischen Geistlichen und Stigmata-Träger Pater Pio, der 2001 von der katholischen Kirche heiliggesprochen wurde, sowie eine Kopie der Nikolaus-Statue aus der Kirche San Nicola in Bari.
Das Geistliche und das Weltliche, unabdingbare Elemente im Leben eines echten Mafia-Bosses. Ein Leben, das zwischen Geld, Macht, Prunk und Flucht, Abtauchen, Angst verbracht wird. Ende der achtziger Jahre war Diana per Gerichtsbeschluss nach Bastiglia verbannt worden, wohin ihm seine gesamte Familie folgte. Zwei Monate nach der Verhaftung Dianas wurde auch seine Ehefrau festgenommen, die angeblich die Geschäfte des Clans weitergeführt hatte.
Als er in Norditalien angekommen war, hatte Diana den Ableger des Clans in Modena übernommen. Dessen Führung teilte er sich anfangs mit Giuseppe »Peppinotto« Caterino, der ebenfalls nach Modena verbannt worden war. 1991 verhaftet, tauchte Caterino nach seiner Entlassung ab. Erst 2005 ging er den Ermittlern an der Westküste Kalabriens ins Netz.
Die beiden Regionalbosse Diana und Caterino überließen die Schmutzarbeit Nicola Nappa, der mittlerweile ebenfalls im Norden ansässig war und dem die illegalen Spielcasinos unterstanden. Sie beschränkten sich
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