Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
respektiert. Gegen diese billige Bauernfängerei wehrt sich der kritische Teil der Zivilgesellschaft immer wieder. Zwar steigt nach jedem Massaker die Empörung, und ein allumfassender Kampf gegen die Mafia wird proklamiert. Aber sobald die Scheinwerfer wieder aus sind, bleiben die verantwortungsbewussten Bürger alleingelassen zurück, ebenso die Staatsanwaltschaften und die Ermittlungsgruppen der Polizei. Die Politik taucht wieder ab ins Alltagsgeschäft. Vielleicht kündigt sie noch einen vom Impuls der Situation bestimmten Verwaltungsakt an, aber praktisch geschieht danach so wenig wie vorher. Konkrete Maßnahmen zum Kampf gegen die Mafia bleiben regelmäßig aus. Bis heute hat es keine der wechselnden Regionalregierungen vermocht, in der Emilia-Romagna ein operatives Außenbüro der zuständigen Anti-Mafia-Behörde zu etablieren. Gerade in dieser Region, in der die Mafia immer skrupelloser die Wirtschaft unterwandert, wäre eine solche Außenstelle dringend nötig. Erst nach einem Artikel in der
Gazzetta di Modena
, der auf diesen Umstand hinwies, hat ein Parlamentsabgeordneter der Demokratischen Partei aus Modena eine diesbezügliche parlamentarische Anfrage bei Innenminister Maroni eingereicht. Jedoch ist ein solches Büro auch im Jahr 2012 noch nicht eingerichtet worden.
In ihrer bislang letzten Publikation von 2010 hat die nationale Anti-Mafia-Behörde beklagt, dass die ’Ndrangheta und andere Mafien in der Lage sind, auf ebenso konstante wie alarmierende Weise auf die Wirtschaft der Emilia-Romagna Druck auszuüben. Für einige Zeit schien es jedoch, als habe sich die ’Ndrangheta aus der Region zurückgezogen. Doch sie war nur aus den politischen Reden verschwunden. Die Gegend verlassen hatte sie nicht. Die Polizei weiß es jedenfalls besser. In mehreren großen Kampagnen versuchte sie in den letzten zwölf Jahren, der Mafia mit den folgenden Einsätzen beizukommen: der Operation »Scacco Matto« (dt.: Schachmatt, 2000), der Operation »Edilpiovra« (dt.: Bau-Mafia, 2003), der Operation »Grande Drago« (dt.: Großer Drache, 2005) und der Operation »Pandora« (2006), die aber erst 2009 abgeschlossen wurde. Im Anschluss an die Operation »Pandora« fiel der Vorhang für die ’Ndrangheta in der Region im Reggio Emilia. Bis zum nächsten spektakulären Anschlag, der dann wieder für momentane Empörung sorgen wird. Die Politik wird sich entsprechend zu Wort melden. Mit Phrasen, die zumeist dem nächsten Wahlkampf geschuldet sind.
11.
DIE BAUUNTERNEHMEN DER MAFIA
Wir schreiben den 23. November 2010. Es ist acht Uhr abends. Vito Lombardo, ein Bauunternehmer, der in Cutro geboren wurde und seit 1968 bei Coviolo wohnt, macht einen Spaziergang in der Nähe seines Hauses. Er befindet sich zwischen der Via Fratelli Rosselli und der Via Ungheria und biegt gerade in die Via Nubi di Magellano ein. Er geht diesen Weg oft entlang. An diesem Abend erwartet ihn dort sein Mörder. Zwei Schüsse treffen ihn, die erste Kugel bohrt sich in seine Hüfte, die zweite in seinen Brustkorb. Mensah George Osei, ein Junge aus Ghana, kommt ihm als Erster zu Hilfe und ruft sofort den Notarzt an. Ihm hat der Unternehmer sein Leben zu verdanken. Vito Lombardo schwebt in diesen Minuten zwischen Leben und Tod. Schließlich fällt er ins Koma. Zwei chirurgische Eingriffe noch am selben Abend retten ihm das Leben.
Die Polizeibeamten, die in dem Fall ermitteln, erhalten von Lombardo einen Tipp, der sie auf die richtige Spur bringt. Schon nach neun Tagen wird Gino Renato verhaftet, Inhaber der Baufirma
Regil
, der offiziell seinen Wohnsitz in Cutro (Kalabrien) hat, aber faktisch zusammen mit seiner Frau in einem Apartment in der Via Medaglie d’Oro della Resistenza mitten in Rosta Nuova, einem Viertel von Reggio Emilia, lebt. Gino Renato wird beschuldigt, das Attentat auf Vito Lombardo begangen zu haben. Zunächst wird angenommen, dass wirtschaftliche Gründe das Motiv gewesen seien. Schulden, die Gino Renato bei Lombardo gehabt habe. Spielschulden oder Schulden, die im Zusammenhang mit einem Grundstückskauf in Kalabrien standen. Ein Darlehen, das den Ermittlern zufolge stark angestiegen war. Eine Hypothese war, dass das Opfer dafür Wucherzinsen verlangt habe. Oder dass es sich um Auseinandersetzungen aufgrund von Wettschulden gehandelt habe. Eine illegale Spielrunde, wofür Vito Lombardo schon einmal in den achtziger Jahren in Schwierigkeiten geraten war, aber weil die Taten bereits verjährt waren, blieb er von Strafen verschont.
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