Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Die Ermittler schlossen auch nicht aus, dass Renato möglicherweise für Dritte gehandelt habe.
Es gibt zu diesem Zeitpunkt eine Fülle von Hypothesen. Fest steht, dass die Vorgehensweise auf einen klassischen Einschüchterungsversuch nach Art der Mafia hindeutet. Pistolenschüsse als äußerstes Bestrafungsmittel für jemanden, der einen Fehler gemacht hat oder sich auflehnte. Typisch für die ’Ndrangheta. Ob in Cutro (Kalabrien) oder Reggio Emilia (Emilia-Romagna), ob in Platì (Kalabrien) oder Mailand, die ’Ndrangheta verlangt Respekt für die von ihr festgelegten Regeln. Der Anschlag stand am Ende der immer schlechter werdenden Beziehungen zwischen den Unternehmern und der ’Ndrangheta.
Seit Mai 2010 brennt Reggio Emilia. Zwei Brandanschläge in einer Woche erschüttern die Stadt. Am 7. Mai 2010 zerreißt ein primitiver Sprengsatz das Auto eines Maurers aus Kalabrien. Ein paar Tage später geht der BMW von Vito Lombardo in Flammen auf. Die Gebrüder Lombardo leben alle in der Region Reggio Emilia. Antonio ist Bauunternehmer, zeitweise teilte er sich eine Firma mit Vito. Alfonso, der andere Bruder, kam 1994 nach Reggio Emilia. Er ist ein ehemaliger Handelsvertreter mit einer Vorliebe für Cafés. Kaum in Reggio Emilia angekommen, kaufte er für seine Kinder das
Café River
, das im Jahr 2002 vom Arena-Clan in Brand gesteckt wurde. Für diesen Anschlag wurden Nicola Sarcone, Carmine Arena, Marcello und Ottavio Muto sowie Vincenzo Niutta verantwortlich gemacht. Sie wurden von der Polizei verhaftet.
Doch Alfonso Lombardo ist nicht davon überzeugt, dass es sich hierbei um einen Mafia-Anschlag handelte. In der
Gazzetta di Reggio
erklärte er: »Ich denke nicht, dass es die Beschuldigten waren. Ich kenne sie. Sie sind Kunden unseres Cafés. Wir haben uns immer respektiert. Ich bleibe dabei: Das war ein Dummejungenstreich, der mich 26.000 Euro kostete. Ich bin sicher, dass ich keine Feinde habe. Ich habe vor diesem Anschlag keine Drohungen erhalten, und auch nach dem Brand hat niemand von mir Geld verlangt. Ich kann einfach nicht glauben, dass die fünf Beschuldigten diesen Anschlag verübt haben sollen. Warum sollte jemand das Lokal von Freunden anzünden, die ihn immer mit Respekt behandelt haben? Es bleibt dabei: Hier hat sich irgendjemand einen dummen Scherz erlaubt. Die Mafia, das ist etwas ganz anderes.« Seine Ausführungen schloss Lombardo mit den Worten: »In Reggio gibt es viele Leute, die schnell reich werden wollen und dabei illegale Mittel anwenden und sich ziemlich arrogant geben.«
Ein Ziel schnell erreichen unter Einsatz illegaler Mittel bei hoher Arroganz – das ist eine der treffendsten Definitionen, mit denen man die Mafia beschreiben kann. Der Unternehmer gab damit – unbewusst – eine Theorie von Robert K. Merton wieder. Darin integrierte der Soziologe die Mafia in ein Denkgebäude, das die Bedingungen für die Anpassung einer Gesellschaft an Vorgänge wie »Innovation« definierte, im Gegensatz zu Erscheinungen wie dem »Konformismus«. Dabei berücksichtigte er auch die drastische Steigerung des wirtschaftlichen Profits in seiner Theorie; Profit, der Mittel und Zweck geworden sei und mit allen Mitteln angestrebt werde, auch unter Einsatz von unrechtmäßigen, illegalen Mitteln wie der Korruption, der Einschüchterung und der Gewalt.
Ein Jahr nach dem Brand der Bar wurde der Rohbau eines Wohnhauses in Brand gesteckt, der von einer Firma Lombardos errichtet worden war. Auch in diesem Fall schloss der Unternehmer einen möglichen Zusammenhang mit der Mafia kategorisch aus. Und das, obwohl die Ermittler ihren Blick eben in diese Richtung richteten.
Am 12. Mai ging schließlich der BMW von Vito Lombardo in Flammen auf. Es war die letzte Warnung vor dem Anschlag. »Ich habe dazu genug gesagt und werde an dieser Stelle keine weiteren Ausführungen dazu machen«, antwortete mir Antonio Lombardo schroff. Ich arbeitete gerade an meinem Dossier »Die Mafien in der Po-Ebene«, das später von dem Monatsmagazin
Narcomafie
veröffentlicht wurde. Zur Situation in Reggio Emilia wollte ich die Meinung eines Mitglieds der Familie Lombardo einholen. Aber die Angst, damit Verstimmungen der Mafia-Clans auszulösen, war offenbar stärker. Alles, was öffentliches Aufsehen erregen könnte, lehnen sie ab.
In der von
Narcomafie
veröffentlichten Untersuchung hatte ich geschrieben, dass »Michele Pugliese 2002 ein Haus von Antonio Lombardo kaufte, und zwar in der Via Cento Violini im Ortsteil Gualtieri«.
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