Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Der Bruder von Vito Lombardo verkaufte also einem ausgewiesenen Mafioso ein Haus mit viereinhalb Zimmern. 2009, als Pugliese im Rahmen der Operation »Pandora« verurteil wurde, beschlagnahmten die Beamten von Staats wegen die Immobilie. Bisher ist die offizielle Konfiszierung noch nicht erfolgt.
Reggio Emilia ist in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen. Die gefräßige Betonlawine hat auch die umliegenden Ortschaften nicht verschont. Einförmige Häuserschluchten, so weit das Auge reicht. Kräne und Pfeiler, die in den Himmel ragen und den Blick nostalgischer Betrachter stören, die auf der Suche nach der bukolischen Emilia der Vergangenheit sind.
Coviolo. Ein überschaubares Ortszentrum, ein Café, eine Kirche, eine Durchgangsstraße, das ist alles. Ringsum neue Gebäude, Wohnhäuser mit Klinkerwänden. Hier bevorzugt man eine moderne Variante des Landhausstils. Nachdem ich einige Fotos gemacht habe, trinke ich noch etwas in einem Café. Als ich wieder auf der Straße bin, sprechen mich Einwohner an. Sie möchten wissen, was ich in Coviolo tue. »Den Druck vonseiten der Mafia, von dem jetzt in den Zeitungen so viel die Rede ist, beklagen wir schon seit zwanzig Jahren«, sagt mir ein Bankangestellter, der sich für meine Recherchen interessiert. Die Lokalpolitik spielt wie immer alles herunter, nur um wieder in hektische Aktivitäten zu verfallen, wenn es zu neuen Schießereien kommt oder das Auto eines weiteres Unternehmers in Flammen steht.
Ein Rentner, gebürtig aus Cosenza (Kalabrien), der schon seit vielen Jahren in Reggio Emilia wohnt, stimmt seinem Vorredner zu. Er zeigt mir den Neubau, in dem sie wohnen. »Einen Teil unseres Hauses hat Grande Aracri errichtet. Das ist normal«, fügt er hinzu, »hier haben sie mit ihren Firmen alles gebaut.« Der andere ergänzt: »Sie haben gute Arbeit geleistet.« Der Bankangestellte stimmt ihm zu. Daraufhin erzählt er mir von seinen Erfahrungen in der Bank. »Man sieht es überall in den Banken der Region. Auch bei uns kommen bestimmte Unternehmer an …« In Reggio Emilia hat die ’Ndrangheta nie aufgehört, als Bauunternehmen aufzutreten. Das war auch nie ein Geheimnis, zumindest nicht für die Einwohner.
Bei der Handelskammer von Reggio Emilia waren im Oktober 2010 genau 13 246 Bauunternehmen registriert, von denen 10 756 Handwerksbetriebe sind. Damit ist Reggio Emilia eine der Provinzen mit dem höchsten Aufkommen an Baufirmen. Einige Bauunternehmen der Region zielen auf ausländische Märkte, wie mir Enrico Bini während eines Interviews erzählt. Bini ist der Präsident der Handelskammer und engagiert sich sehr für den Kampf gegen die Mafien. Die Unternehmen haben sich für Bauaufträge im Irak beworben. »Als der irakische Botschafter nach Reggio Emilia kam, umschwirrten sie ihn wie Bienen den Honig. Ich wies den Botschafter schließlich darauf hin, dass ich nicht derjenige sein wolle, der zugelassen hat, dass die ’Ndrangheta im Irak Fuß fasst.« Bini ist mutig. Seine Erklärungen haben dazu beigetragen, das Problem im öffentlichen Bewusstsein zu halten.
Der Anschlag auf Vito Lombardo geschah wenige Meter vom Ortsschild von Coviolo entfernt, an der Straße, die zur Firma
Iren Emilia
führt. Diese vergab am 4. November 2002 den 1,9 Millionen Euro schweren Auftrag zur Erweiterung der Mülldeponie von Poiatica di Carpineta an die Firma
Paolo Ciampà
aus Crotone, die im Zusammenhang mit der Operation »Black Mountains« in den Blick der Ermittler geraten war. Damals wurden von der Anti-Mafia-Behörde von Catanzaro verbrecherische Praktiken bei der Beseitigung von Giftmüll untersucht.
Acht Jahre nach der Affäre Ciampà geriet die vielseitige Firma
Iren
in die lokalen Schlagzeilen. Zusammen mit der Gesundheitsbehörde von Reggio Emilia und einer weiteren Kommune hatte sie Aufträge storniert, die an Firmen erteilt worden waren, gegen die die Präfektur von Reggio Emilia einen Verbotsbescheid erlassen hatte (der die Vergabe öffentlicher Aufträge an diese Firmen untersagte) und denen sie das Siegel »Anti-Mafia« entzogen hatte.
Iren
stornierte Aufträge in Höhe von 300.000 Euro. Im Verlauf des Jahres 2010 hat die Präfektur rund einem Dutzend Firmen das Siegel »Anti-Mafia« entzogen.
Zu den von der Präfektur durchleuchteten Firmen zählten sowohl das Konsortium
Primavera
als auch das Unternehmen
Giada
, das zu den Anteilseignern des Konsortiums gehört. Sonderbevollmächtigter beider Firmen ist Raffaele Todaro, der Ex-Schwiegersohn des
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