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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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Firma, die chemische Analysen durchführt. Ihm wird er die Erdprobe bringen. Er möchte endlich wissen, warum die Männer in der Nacht arbeiten, will wissen, was sie zu verbergen haben, warum sie alles daran setzen, mögliche Kontrollen zu umgehen.
    In der Lombardei bieten die Mafia-Clans neben vielen anderen Dienstleistungen auch die Giftmüllentsorgung an. Im September 2008 wurden insgesamt acht Personen verhaftet, die der illegalen Giftmüllablagerung im Hinterland von Mailand angeklagt wurden. Die Beamten des Mobilen Einsatz-kommandos der Mailänder Polizei beschlagnahmten 65 000 Quadratmeter verseuchten Bodens. Auf der Fläche waren insgesamt 178 Kubikmeter flüssiger Giftmüll verteilt worden, der hauptsächlich aus der Gegend von Bergamo stammte. Weitere 235 Quadratmeter Land werden derzeit noch daraufhin untersucht, ob hier ebenfalls Giftmüll illegal entsorgt wurde.
    Unter den insgesamt zwanzig Angeklagten finden sich Unternehmer und Industrielle, die der ’Ndrangheta die Giftmüllverarbeitung anvertrauten. Die Polizeibeamten beschlagnahmten Lastwagen und Maschinen im Wert von 2,5 Millionen Euro, die in den Gruben Verwendung gefunden hatten. Fortunato Stellittano, bereits zu verschärfter Haft verurteilt, hatte mit Hilfe weiterer Verurteilter verlassene Grundstücke ausgesucht und aufgekauft, um dann über andere Unternehmen die illegale Giftmüllbeseitigung zu organisieren. Er agierte dabei unter dem Schutz der Firmen von Giovanni Stellittano und Ivan Tenca, deren Baufirmen sich nur offiziell der Durchführung von Bauarbeiten und Abrissarbeiten widmeten. Tenca und Fortunato Stellittano erlangten im Zusammenhang mit dem von ihnen ausgeführten Attentat auf den Mafia-Boss Domenico Quartuccio notorische Berühmtheit.
    Die Löcher, in denen der Giftmüll entsorgt wurde, waren fünfzig Meter lang und neun Meter tief. Die größte Grube lag auf dem Gebiet der Gemeinde Desio (bei Mailand). 30 000 Quadratmeter Ackerland, verseucht mit Blei, Chrom und Plastikabfällen. Die Methode war bestens erprobt. Die Grube wurde ausgehoben, die ausgehobene Erde an Gartenbauunternehmen verkauft, die Grube mit Giftmüll gefüllt und mit einer dünnen Deckschicht notdürftig getarnt. Was in diesem Fall aber nicht mehr klappte, war von Seiten der Mafia selbst Anzeige zu erstatten gegen Unbekannt wegen Verseuchung des Bodens, um auf diese Weise die Umwidmung von Ackerland in Bauland zu erhalten und damit den Wert des unrettbar verseuchten Bodens erheblich zu steigern. Indem Gesetze missbraucht und die legale Wirtschaft ausgekontert wird, sollten weitere Gewinne erwirtschaftet werden (neben den »Gebühren« für die »Abfallbeseitigung«, welche die Auftraggeber der Müllentsorgung an die Mafia entrichteten).
    Dieser Megaschwindel wäre den Gebrüdern Stellittano beinahe geglückt. Die Stellittanos gelten als Parteigänger des Lamonte-Clans aus Melito Porto Salvo (bei Reggio di Calabria). Clan-Chef Natale Lamonte wurde 1993 verhaftet. Er war einer der ersten Oberbosse, die den Freimaurern beitraten. Er war bereits 1988 nach Desio (bei Mailand) in die Verbannung geschickt worden. Erreicht wurde mit der tragisch fehlgeschlagenen Strategie der Verbannung immerhin, dass die meisten der verbannten Bosse heute in ordentlichen Gefängnissen ihre Strafen absitzen.
    Allein den Verbannungen die Schuld für die Kolonisierung des Nordens durch die Mafien zuzuschreiben, wäre jedoch abwegig und bösartig. Mit genau diesem Argument versuchen die Politiker der rechtsgerichteten
Lega Nord
die Wirklichkeit zu vereinfachen. Das gehört zu ihrer politischen Strategie. Ihre Kritik an der Verbannungspraxis kann man in einem Satz zusammenfassen: »Schuld daran sind die Süditaliener.«
    Diese These bemühte die
Lega Nord
während der gesamten achtziger und neunziger Jahre. Die Fakten sprechen jedoch gegen diese fremdenfeindliche Propaganda. Jahr um Jahr stiegen Verhaftungen von Einheimischen der Emilia-Romagna. Unternehmer, Selbständige, Politiker, die Geschäfte mit den mächtigen Mafia-Bossen aus dem Süden machten. Die Geschäfte sind der gemeinsame Nenner, der die entgegengesetzten Enden des Landes eint. Und mit Hilfe ihrer wirtschaftlichen Beziehungen setzen die Mafia-Organisationen ihre Präsenz auf den Märkten des Nordens durch, wo sie im Laufe der Jahrzehnte heimisch geworden waren.
    Dort, im Hinterland von Mailand, wo die Lkws der ’Ndrangheta jahrelang Giftmüll auf freiem Feld abgeladen haben, sollte nun eine Fotovoltaik-Anlage entstehen.

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