Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
eintreibt, trotz der immer enger werdenden »Arbeitsbeziehungen«, die bis in die Zeit seines Schwagers Rocco zurückreichen. Aber aus der Enttäuschung wird Wertschätzung und Bewunderung, sobald man darauf aufmerksam macht, dass hinter dem Sprössling der lange Arm des inhaftierten Bosses Rocco steckt. Über ihn heißt es in einem Bericht zur Operation »Cerberus«, den die OK-Abteilungen der Finanzpolizei und der Anti-Mafia-Behörde Mailand im Jahr 2008 verfasst haben: »Salvatore Barbaro, der die Befehle ausführte, die Rocco vom Knast aus erteilt hatte, hat die volle Kontrolle über den Clan errungen, der sich der illegalen Auftragsaneignung für Bauarbeiten im bekannten geographischen Umfeld des Mailänder Hinterlands mit mafiösen Methoden verschrieben hat. Zusammen mit anderen Spießgesellen haben sie eine Art Monopol auf diesem Sektor geschaffen. (…) Der Führungsebene ist es gelungen ist, das Gebiet der Erdarbeiten, des Tiefbaus und des Städtebaus im Gebiet Buccinasco absolut zu beherrschen.« Die Methode zur Aufteilung der zu vergebenden Arbeiten und der Subaufträge im Bereich der Erdarbeiten folgt einer präzisen Logik. Vor jeder Ausschreibung trifft sich Luraghi mit Domenico und Salvatore Barbaro. Sie unterhalten sich über das Umfeld der Arbeiten und über die hauptsächlichen Stoßrichtungen des eigenen Vorgehens.
Im nächsten Schritt werden Personen aus dem Umfeld der Entscheidungsträger aus der örtlichen Verwaltung kontaktiert. Die entsprechenden Unterhaltungen muss Luraghi wortgetreu gegenüber Domenico und Salvatore wiedergeben. Der junge Salvatore Barbaro hat inzwischen die Stelle des Clan-Chefs eingenommen. Er ist der Schwiegersohn von Rocco Papalia, dessen Tochter Serafina er geheiratet hat.
Der Barbaro-Papalia-Clan ist in der Lombardei eine bekannte Größe. Es gibt keine größeren öffentlichen Bauaufträge, bei denen die Lkws der Firmen des Clans nicht an den Erdarbeiten beteiligt gewesen wären. Sie haben tatsächlich das Monopol inne. Aber niemand macht sich die Mühe, die Mafia-Methoden zur Anzeige zu bringen, mit denen sie die eigenen oder befreundete Firmen anderer kalabrischer Inhaber aus ihrem Umfeld in den Ausschreibungen durchsetzen. Erdarbeiten sind ausschließlich ihre Angelegenheit. Schon in den achtziger Jahren hat Oberboss Rocco Papalia die ersten Unternehmen für Erdarbeiten gegründet. Mit ihm hat Luraghi seine »einträgliche« Zusammenarbeit begonnen.
Mit Salvatore Barbaro verbinden ihn kompliziertere Beziehungen. Der Sohn von »L’Australiano« hat von Rocco das Zepter der Macht geerbt. Ihn umgibt ein Heer von jungen Kalabresen, die in ihm ihren Heerführer, ihren Condottiere sehen. Er ist der Oberbefehlshaber, der über ihre Zukunft und die gerechte Verteilung der Arbeiten unter den »Hündchen« entscheidet, wie sie Luraghi in einem abgehörten Gespräch nannte. Die »Hündchen« aus Kalabrien, die voller Hoffnungen in die Lombardei gekommen sind, um reich zu werden, erfahren nun das Gegenteil und sind gezwungen, sich in eine absolute Machtordnung mit einem Mafia-Boss an der Spitze einzufügen.
»Der Ausdruck ›Hündchen‹ charakterisiert auch die große Verfügbarkeit dieser jungen Rekruten, die bis heute in großer Zahl Kalabrien verlassen und nach Norden – speziell nach Buccinasco – wandern. Für all diese ›Hündchen‹ ist Salvatore Barbaro der Fixstern, ihr Bezugspunkt. Als Erbe von Rocco Papalia gelingt es ihm auf geschickte Weise, die Geschäfte des Clans zu steuern und sich dabei die schier unerschöpfliche Menschenreserve Kalabriens zu Nutze zu machen«, wie in den Akten der Operation »Cerberus« zu lesen ist.
Die Kontrolle des Territoriums, wie sie sie der Clan rund um Buccinasco praktiziert, ist von erstickender Art. Das Territorium ist nach strengen Regeln unterteilt. Jeder Unterabteilung der ’Ndrangheta, die in der Lombardei operiert, ist ein spezifisches Aktionsfeld zugewiesen. Auch in Kalabrien wird auf diese Weise verfahren. Auf den Baustellen rund um die Stadt Rho (bei Mailand) sind die Lkws der ’Ndrangheta-Ableger von Rho im Einsatz. Sie werden von Stefano Sanfilippi angeführt. In Buccinasco sind es die Lkws des Barbaro-Papalia-Clans. Aushubarbeiten in Legnano führen die Firmen des Ablegers in Legnano aus, an dessen Spitze Vincenzo Rispoli steht. Diesen Regeln müssen sich alle unterwerfen, damit alle ein ruhiges Leben führen und gut verdienen können.
Alle machen mit den Firmen der ’Ndrangheta in der Lombardei Geschäfte.
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