Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
gemacht. Vom Drogenhandel über Entführungen bis hin zu Erdarbeiten und dem Immobilienhandel. Zudem haben sie für gute Kontakte zur Lokalpolitik gesorgt.
Kronzeuge Saverio Morabito erwähnte in seinen Aussagen, die zur Verurteilung von Dutzenden von Mafia-Bossen im »Nord-Sud«-Prozess führten, auch die häufigen Begegnungen zwischen Politikern und Clan-Chefs der ’Ndrangheta. Seine Worte erinnerten die Ermittlungsbeamten an ein Foto, das im Frühjahr 1990 aufgenommen worden war. Auf ihm ist – vor dem Restaurant
San Marino
in Buccinasco – der Regionalabgeordnete Massimo Guarischi der schon damals als korrupt verschrienen Sozialistischen Partei (unter der Führung des später verurteilten und aus Italien geflohenen Parteiführers Bettino Craxi) zu sehen. Es war nach einem von den örtlichen Unternehmern organisierten Treffen während des Wahlkampfs für die Verwaltungsposten entstanden. In der Gruppe von Menschen um Guarischi herum war auch Clan-Chef Rocco Papalia auszumachen sowie – den Ermittlern zufolge – der Eigentümer des Restaurants und Stadtrat der Sozialistischen Partei in Buccinasco, Giuseppe Borello, der stellvertretende Bürgermeister Alberto Fontana, der ebenfalls der Sozialistischen Partei angehört, sowie der Abgeordnete der Sozialistischen Partei im Wahlkreis Corsico (bei Mailand), Francesco Verderosa.
Morabito sagte, dass die Familie Papalia sich über die üblichen Einschüchterungsmechanismen der Gemeinden Corsico und Buccinasco bemächtigt habe. Auch in politischer Hinsicht. Sie engagierten sich in vielen Wahlkämpfen, hauptsächlich zugunsten der Kandidaten der Sozialistischen Partei, um sich alle möglichen Vergünstigungen zu sichern. Sobald die von ihnen unterstützten Kandidaten gewählt waren, mussten sich diese vollumfänglich den Wünschen ihrer Förderer unterwerfen. Das war im Jahr 1990. Zu dieser Zeit wurde die ’Ndrangheta häufig noch als Organisation beschrieben, die vornehmlich mit Entführungen ihr Geld machte. Ein Haufen ungebildeter und gewalttätiger Schäfer. Dass man damals nicht auch das andere Gesicht der ’Ndrangheta analysierte, sollte sich als Fehler herausstellen, denn schon in diesen Jahren entschied sie über die Laufbahn von Politikern im Hinterland Mailands. Die Entführung von Menschen war vermutlich damals schon, neben der reinen, wilden und primitiven Art der Kapitalakkumulation, ein Mittel der Massenbeeinflussung, das von den Bossen gezielt eingesetzt wurde, um die staatlichen Ermittlungen Richtung Süden (wo die meisten Entführungen stattfanden) und von den anderen Geschäften der Clans abzulenken. Ein brutaler Bluff, um ihre Gegenspieler zu verwirren und ihr im Aufbau befindliches neues Imperium im Norden Italiens zu tarnen.
In jenen Jahren hatte die ’Ndrangheta ihren Aktionsradius längst über das Berggebiet des Aspromonte und die Vororte Reggio di Calabrias hinaus ausgeweitet. Sie wurde reicher und reicher und setzte immer gezielter die Korruption als Mittel ein. So nistete sie sich in den Nervenzentren des Wirtschaftssystems Norditaliens ein, setzte ihr Drogengeld ein und ließ auch die Unternehmer des Nordens, die Dienstleistungen billig einkaufen wollten, an ihrem Reichtum teilhaben. Zwanzig Jahre später sind noch immer dieselben Personen für die ’Ndrangheta aktiv. Immer noch wenden sie dieselben Praktiken an. Und immer noch zählen Entführungen zu den probaten Mitteln. Das Wirtschaftsimperium der ’Ndrangheta trägt die Farben Weiß (wie Kokain), Braun (wie die Erde von den Baustellen) und Rot (wie das Blut ihrer Opfer).
Einer der vielen lombardischen Unternehmer, der sich mit der ’Ndrangheta eingelassen hat, ist Maurizio Luraghi. Er spricht mit Domenico Barbaro fast täglich. Er kritisiert mit ihm, dass der Sprössling Salvatore Barbaro, der von Papalia als sein Nachfolger vorgesehen ist, seinen Reichtum und seine Macht so öffentlich zur Schau stellt. »Er hat sich eine Villa für vier Millionen Euro gebaut«, entrüstet sich Luraghi. Dabei geht es ihm nicht darum, das Verhalten des Mafia-Nachwuchses zu rügen, denn wenn er könnte, würde sich Luraghi selbst gern so eine Villa bauen. Vielmehr fürchtet er, dass die Präpotenz des Mafia-Sprösslings die Ermittler auf seine Fährte bringen könnte.
Domenico Barbaro gesteht Luraghi auch seine Enttäuschung darüber, dass er in Spannungen innerhalb der ehrenwerten Gesellschaft hineingezogen wurde. So wie die Opfer der Schutzgelderpressung, von denen Salvatore ihre Scherflein
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