Mafia Princess
Und trotzdem tat sich eine ganze Weile nichts weiter zwischen uns. Er war ein enger Freund von meinem Onkel Guglielmo, und gemeinsam führten sie draußen die Familiengeschäfte. Große Drogenlieferungen trafen in Gioia Tauro ein und wurden per Lastwagen nach Mailand geschafft, wo sie weiterverpackt wurden. Die Verteilung ließ sich nur in Teamarbeit organisieren, und die Familie hatte etwa sechzig Mitarbeiter, Leute in Brunos Alter, die sich Großmutters und Vaters Vertrauen erarbeitet hatten und für die beide bürgen konnten.
Blutfamilie und Mitgliedschaft von Nichtverwandten überschneiden sich in der ’Ndrangheta. Eheschließungen wie die zwischen Großmutter und Großvater Rosario tragen zu einem besseren Verhältnis innerhalb der ’ndrina (Familie) bei und erhöhen die Mitgliederzahl. An unterster Stelle der Hierarchie stehen die picciotti d’onore [Soldaten], von denen bei der Erfüllung von Aufgaben blinder Gehorsam verlangt wird, bis sie auf die nächste Stufe der cammorista befördert werden. Da bekommen sie dann die Aufsicht über ihre eigenen Soldaten. Das Geheimnis der Macht und des Erfolges der ’Ndrangheta besteht darin, dass nur ein innerer Kreis von Verwandten und getreuen Befehlshabern intime Kenntnis von allen Geschäften der Familie hat.
Bruno war trotz seiner einundzwanzig Jahre bereits cammorista . Er war einer der wenigen Verantwortlichen in der Organisation, denen Onkel Guglielmo und Dad vertrauten; sie erzählten ihm alles und konnten sicher sein, dass er verstand, was im Drogenhandel zu tun war und wie er die Leute dazu bringen konnte, es zu tun. Sie ließen ihn ganz präzise wissen, wann und wo Lieferungen ankamen und in welcher Menge und wohin sie zu befördern waren. Und Bruno brauchte man alles nur einmal zu sagen. Dad mochte es gar nicht, etwas zweimal sagen zu müssen.
Dagegen störte es ihn nicht, etwas mit zwei Mädchen gleichzeitig zu haben, vor allem dann nicht, wenn sie so atemberaubend waren wie Mara und Marina. Die Zwillinge. Eineiige Zwillinge. Sogar in ihren Heroingewohnheiten glichen sie einander. Sie waren beide auf der Drogenentzugsstation im Krankenhaus von Parma. Sie waren blond, blauäugig und schlank, attraktive Frauen mit sonnigem Gemüt. Sie trugen ausgeflippte Kleidung und wurden von ihren Eltern, einer immens reichen Familie aus Parma, nach Strich und Faden verwöhnt. Ihre Eltern hätten Gott weiß wie viel Geld hergegeben, wenn sie clean würden.
Dads Interesse an den Zwillingen entsprang nicht nur seinem Wunsch nach Vergnügung. Er wusste, er konnte nicht ewig im Krankenhaus bleiben. Er wusste, dass er irgendwann wieder ins Gefängnis zurückmusste. Er musste gewisse Vorkehrungen treffen. Er fing etwas mit Marina an, die ein richtiger kleiner Teufel war. Er sagte zu ihr, wenn ihre Eltern ein wenig Geld investierten, könnten sie eine Partnerschaft an einer Bäckerei erwerben. Dad meinte, sie solle ihrem Vater ausrichten, das sei eine gute Therapiemaßnahme. Es klappte, und als Dad wieder zurück ins Gefängnis musste, arbeitete er als Freigänger tagsüber in der Bäckerei und ging abends zurück in seine luxuriöse Zelle.
Es war sein Geschäft, lief aber auf den Namen der Zwillinge. Er musste sie nur bei Laune halten. Aber Dad und Marina zerstritten sich, als er ein Auge auf Mara warf. Die Ménage à trois lief nicht so gut. Die Bäckerei dagegen sehr, sodass mein Vater alle Zeit und alle Freiheiten hatte, die er brauchte.
Ich musste wieder zurück ins College. Ich wollte nicht. Ich wollte bleiben, bei Dad, bei Bruno. Mum drehte durch. Andauernd rief sie an und wollte wissen, mit welchem Flugzeug ich käme. Ich antwortete ausweichend, steckte den Kopf in den Sand. Die ganze Zeit dachte ich an Bruno.
Als wir eines Abends von einem Besuch bei meinem Vater zurückkamen, lernte ich Brunos andere Seite kennen, die des brutalen Mafioso. Mit Magda und ihren Freundinnen waren wir in unsere übliche Disko in Mailand gegangen. Ich stand auf der einen Seite der Tanzfläche, als ein junger Mann kam und mich nach den Toiletten fragte. Ich deutete in die Richtung, aber noch ehe er sich in Bewegung setzen konnte, tauchte Onkel Guglielmo auf; ich hatte gar nicht gewusst, dass er da war. Halb wahnsinnig in seinem Kokainrausch hämmerte er dem Jungen die Faust ins Gesicht. Er prügelte auf ihn ein, Schlag um Schlag, bis die Nase des Jungen völlig zerschmettert war und ihm das Blut in Strömen aus dem Mund lief. Als er zu Boden ging, fing mein Onkel an, ihn zu treten,
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