Mafia Princess
sie wieder weg; es schien nur eine Pflichtübung gewesen zu sein. Als sie gegangen waren, hob ich aus Neugier die Fliese hoch und griff ins Loch. Ich zog eine Pistole heraus. Ich habe keine Ahnung, was für eine Marke es war, aber sie war groß, schwer und unheilvoll.
Das war der Beginn der stürmischsten Zeit meines Lebens. Kurz nach der Razzia erfuhr ich, dass es Pläne gab, einen Mann zu töten. Dad war endlich aus dem Gefängnis raus und saß bei den täglichen Geschäftstreffen wieder am Küchentisch. Ich wurde nicht mit einbezogen, aber ich war da, kam immer mal wieder in die Küche, während sie sich unterhielten, und so erfuhr ich alles.
Die Familie hatte einen Freund, einen Typen, der bei der Camorra arbeitete, der Mafia-Organisation, die fast ganz Neapel und Umgebung infiltriert hatte, die so mächtig und effektiv war wie die Cosa Nostra und die ’Ndrangheta. Ein einflussreicher Mafioso von der Camorra kam per Flugzeug nach Mailand, hatte eine Unterredung mit meinem Vater und bat um Erlaubnis, diesen Typen töten zu dürfen. Er musste die Genehmigung einholen, denn Mailand war das Revier meines Vaters. Dad hätte auch nicht einfach nach Neapel fahren und jemanden umbringen können. Er hätte fragen und erklären müssen: »Dieser Mensch hat mir ein Unrecht angetan. Er hat die Grenze überschritten. Ich muss ihm zeigen, dass er damit nicht durchkommt. Mache ich das nicht, wird ein anderer sich dasselbe erlauben.«
Ich kannte den Mann, den sie umbringen wollten. Als Mum und ich 1979 aus dem Mussolini-Wohnblock auszogen, setzte meine Familie – nicht etwa die Stadt – diese Leute in die Wohnung. Sie kamen aus Kalabrien. Es war also irgendwie persönlich. Er war kein Fremder. Noch schlimmer war, ich wusste, dass er Frau und Kinder hatte. Er hatte irgendwas Übles gegen die Mafiosi in Neapel gemacht, und das konnte Dad ihm nicht durchgehen lassen. Er konnte dem Mann nicht helfen. Um ehrlich zu sein, Dad machte sich in der Sache keine Sorgen. Wäre es einer aus der Familie gewesen, wäre es nicht passiert. Wäre es einer gewesen, der ihm viel bedeutete, wäre es auch nicht passiert. Aber Dad und Großmutter gaben grünes Licht. Hätten sie die Bitte abgelehnt, wäre es zum Krieg zwischen denen und uns gekommen. So war das eben.
Ich weiß nicht, was genau besprochen wurde, aber ich wusste im Voraus, was passieren würde. Ich war neunzehn Jahre alt. Ich musste eben irgendwie damit klarkommen. Zur Polizei konnte ich schließlich nicht gehen, und ich konnte auch meinen Vater nicht von der Sache abhalten. Was hätte ich tun können?
Die meiste Zeit über steckte ich sowieso den Kopf in den Sand. Ich war ganz glücklich in meiner kleinen Welt. Ich war eben nur ein junges Mädchen. An die Zukunft dachte ich nicht. Ich sah nicht, wie ernst es war. Ich konnte Recht von Unrecht unterscheiden, das leugne ich nicht. Aber es ging ja immer noch um meinen Vater. Es ging um meine Familie. Besser erklären kann ich es nicht.
Der Tod war überall. Und der Heroinhandel. Onkel Filippos Freundin Alessandra und Tante Mariella waren gestorben, und Tante Mima und Dads jüngster Bruder Alessandro waren schwer drogensüchtig. Rosolino, ein Heroinsüchtiger mit Aids, wohnte bei Onkel Antonio und machte für ein kleines Taschengeld die Hausarbeit.
Ihnen allen gab Großmutter Heroin. Sie wollte nicht, dass sie es sich anderswo besorgten, an irgendein Zeug gerieten, das nicht in Ordnung war. Als Mutter war sie ständig hin- und hergerissen, ständig musste sie überlegen: »Gebe ich es ihnen, oder lasse ich sie auf die Straße gehen und es sich selber besorgen?« Im Flüsterton sprach man von ihr als Mamma eroina , Mama Heroin. Sie sah absichtlich älter aus, als sie war, und so nannten andere sie Nonna eroina , Oma Heroin. Großmutter brachte ihre Familie selber um, so wie sie wahrscheinlich auch andere Kinder umbrachte. Es ist ein Rätsel. Denn einerseits war sie so großzügig, aber das war nun mal ihr Leben, ihre Art zu leben. Sie wusste nicht, was sie sonst hätte tun sollen.
Als Dad aus dem Gefängnis zurückkam, sagte er: »So können wir nicht weitermachen. So viel Geld kann man mit Heroin gar nicht machen.« Er hatte eine Marktlücke erkannt und wollte mit Haschisch handeln. »Davon ist nicht so viel in Umlauf – und keiner stirbt daran. Da liegt jetzt das Geld.«
Bald gab es Riesenmengen von Haschisch weltweit, als Dad sein effizientes Schmuggelimperium geschaffen hatte. Er war ein sehr, sehr guter Geschäftsmann. Er
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