Mafia Princess
von Manchester trug ich schon die Perücke, doch an der Passkontrolle sagte der Beamte zu mir: »Auf Ihrem Passbild sehen Sie aber anders aus.« Da gab ich die Idee dann auf. Denn mit der Perücke hätte ich nur die Aufmerksamkeit auf mich gelenkt. Ich ließ sie auf der Toilette zurück und flocht mir die Haare zu einem Zopf. Von Nizza aus fuhr ich mit dem Zug über die Grenze nach Italien. Das Treffen fand statt, ich hielt Lara in den Armen, und innerhalb von einer halben Stunde saß ich wieder im Zug.
Auf dem Rückweg gab es einen nervenaufreibenden Moment beim italienisch-französischen Zoll. Lara war auf meinem britischen Pass eingetragen. Der Grenzbeamte brauchte ewig, sah abwechselnd immer uns beide und den Pass an, denn da stand Marisa Merico und Lara Merico . Er hielt mich für eine alleinerziehende Mutter; in Italien hätte eine verheiratete Mutter nicht denselben Nachnamen wie ihr Kind. Hätte allerdings Marisa Di Giovine auf dem Pass gestanden, hätte ich Lara nie und nimmer aus dem Land bekommen. Er hätte mich gefragt: »Weiß ihr Vater, dass sie ausreist?«
Es waren die längsten Minuten meines Lebens. Ich betete, dass Lara jetzt nicht etwas auf Italienisch sagte. Irgendetwas sagte sie doch, aber es war nur Babygebrabbel.
Der Beamte fragte: »Englisch, ja? Tochter?«
»Oh ja, Tochter.«
»Okay. Okay.« Das war mehr, viel mehr als nur okay.
Mir war ganz übel, wie ich so dastand, aber nach außen hin gab ich mich cool. Das ist schon fast wie eine gespaltene Persönlichkeit bei mir.
Im Abteil rauchten zwei junge Männer pausenlos, und so was finde ich normalerweise abscheulich, wenn Lara dabei ist, aber in ein anderes Abteil wollte ich nicht wechseln. Ich wollte einfach nur auf meinem Sitz bleiben und nach Nizza kommen.
Als wir ankamen, war es schon zu spät, um am selben Abend einen Flug nach England zu bekommen. Geld war kein Thema, also ließ ich den Taxifahrer am erstbesten exklusiv wirkenden Hotel an der Promenade des Anglais halten, es war das Hotel Negresco. Die halbe Nacht saß ich auf dem Bett, betrachtete Lara, wie sie schlief, und dachte: »Ich habe mein kleines Mädchen wieder. Dem Himmel sei Dank!«
Zu der Zeit, als ich im Halbschlaf noch einmal vor meinem inneren Auge alle Ereignisse Revue passieren ließ, wurde jeder in meiner Familie festgenommen, und zwar im Rahmen der Polizeioperation, die nach der Via Christina Belgioso, in der Großmutter wohnte, Operation Belgio hieß. Chefermittler war Maurizio Romanelli, eine Art Eliot Ness aus dem Film The Untouchables – Die Unbestechlichen ; er beschäftigte sich ausschließlich mit der Mafia. Er arbeitete mit allen Mitteln: angezapfte Telefone, beschlagnahmte Lieferungen und Unterlagen, und das alles in Kombination mit Aussagen von Leuten, die sich als Kronzeugen der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stellten.
Bester Fang des Mafiajägers war Santa Margherita Di Giovine, meine Tante Rita, die Frau, die mich bei sich aufgenommen und meiner Liebe zu Bruno eine Chance gegeben hatte. Erst kürzlich hatte sie mir eintausend Ecstasy-Tabletten gestohlen, die sie weiterverkaufte, um ihren Bruder, meinen Onkel Antonio, auszuzahlen, der wegen Drogenschulden sauer auf sie war. Sie hatte ihn viel Geld gekostet, und nun hatte sie, völlig zu Recht, große Angst vor ihm. Außerdem war sie auf Speed und schizophren. Tante Rita war schwach, und das kam nicht nur von ihrer Amphetaminsucht. Von Kindheit an war sie von meiner Großmutter schlecht behandelt worden. Sie hatte einen schwachen Charakter. Sie ordnete sich unter. Und sie war sehr eifersüchtig. Meine Mutter war nie gut mit ihr ausgekommen. Von allen Kindern meiner Großmutter war Rita das einzige, das sich immer in den Vordergrund drängeln musste und um Aufmerksamkeit buhlte. Sie bekam alles, was sie bekommen konnte, nachdem sie in Verona wegen des Besitzes der Ecstasy-Tabletten verhaftet worden war. Sie wurde festgenommen, und sie hielt es nicht aus, meinem Onkel ins Gesicht zu sehen, und auch das Gefängnis konnte sie nicht ertragen. Ihr Sohn Massimo war ein gewiefter Heroinhändler, außerdem selber drogenabhängig. Sie wäre wahrscheinlich nur für ein paar Jahre ins Gefängnis gekommen, vielleicht etwas länger als Mitglied einer Familie aus dem Milieu des organisierten Verbrechens, doch stattdessen fing sie an, die anderen zu verpfeifen. Sie war schon einmal im Gefängnis gewesen, und das konnte sie nun einfach nicht mehr ertragen.
Sie war der große Trumpf für Staatsanwalt
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