Mafiatochter
schlich, kurbelte einer der Agenten das Fenster seines Wagens herunter und sagte grinsend: »Na Karen, gehst du ein wenig aus?« Nun waren die Überwachungsmaßnahmen drastisch verstärkt worden. Es schien, als würde Papa rund um die Uhr beobachtet.
Mir war klar, dass John Gotti und mein Vater ein kriminelles Unternehmen führten, aber es war für mich schwer, die illegale Seite dieses Geschäfts zu beurteilen. Mein Vater nahm seine Tätigkeit mit der Baufirma sehr ernst. Er hielt eine strikte Routine ein. Erst ging er zum Training in ein Fitnessstudio in Brooklyn, das nicht weit vom Büro entfernt lag. Dann machte er sich auf zur Stillwell Avenue, wo er noch vor Mittag eintraf. Dort blieb er bis halb fünf oder fünf und achtete darauf, dass er pünktlich um halb sechs zum Abendessen zu Hause war. Er liebte das Baugeschäft und war sehr stolz auf seine Arbeit. Obwohl er die meisten Aufträge aufgrund seiner Person und seines Rufs als gefürchteter Gangster bekam, bearbeitete er doch jeden einzelnen Auftrag äußerst gewissenhaft.
Mein Blumenladen lag direkt neben Papas Büro, sodass ich ihn an seinem Schreibtisch sitzen sehen konnte, wenn er mit Kunden über Bauprojekte und Zement sprach. Die Leute kamen zu meinem Vater ins Büro und schüttelten ihm die Hand, dann besprachen sie alles Übrige auf dem Bürgersteig vor meinem Laden. Ich fand das reichlich seltsam, doch später wurde mir klar, dass dies die einzige Möglichkeit war, sich unbelauscht zu unterhalten. Wenn Papa nicht wollte, dass ein Gespräch aufgezeichnet wurde, verlegte er es eben auf die Straße. Wenn sie vorbeigingen, winkte er mir immer zu.
Ich wusste, dass sie über illegale Dinge sprachen. Sie waren extrem darauf bedacht, dass nichts davon abgehört wurde. Obwohl ich wusste, dass hinter den Kulissen illegale Geschäfte abgewickelt wurden, war deren Ausmaß von meiner Warte aus schwer abzuschätzen, weil sich das Meiste an der Oberfläche abspielte. Morgens sah ich, wie die Bautrupps auf die Laster der Marathon Concrete Corp. kletterten und davonfuhren. Die Männer trugen ihre Marathon-Arbeitskleidung, schwarze Hemden mit roten Lettern, die Papa für alle Arbeiter hatte anfertigen lassen.
Auch die Freunde der Familie trugen solche Marathon-Kleidung. Sogar Gerard und ich hatten unsere eigenen Marathon-Construction-Bomberjacken. Papas Sekretärin Sherry hielt am Empfangstisch die Stellung, nahm Telefongespräche entgegen, bezahlte die Rechnungen und führte die Bücher. Ich glaube, ich sah die kriminelle Seite des Ganzen einfach nicht. Obwohl ich wusste, dass es sie gab, kümmerte ich mich nicht weiter darum, weil ich nur einen Mann sah, der stolz auf seine Arbeit war. Er war zwar ebenso stolz darauf, ein Gangster zu sein, doch hielt er diese Seite seines Lebens so gut wie irgend möglich vor seiner Familie verborgen. Sein Geschäft war bestens organisiert. Ich nehme an, dass man deshalb von »organisiertem Verbrechen« spricht. Papa war im Baugeschäft sehr erfolgreich und kontrollierte mehr oder weniger auch sämtliche Gewerkschaften in den fünf Bezirken. Ich glaube, selbst Leute, die keine Mitglieder der Mafia waren, fanden nichts dabei, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ein großer Teil seines Erfolges lag darin begründet, dass er persönlich dafür sorgte, dass die Arbeit zügig erledigt wurde.
John Gotti war Papas »Boss«, und mein Vater achtete stets darauf, dass John einen fetten Anteil von allen Bauaufträgen erhielt, die man ihm zuspielte. So funktionierte die Mafia. Gleichzeitig war mein Vater für die Familie Gambino aber auch der Typ, an den man sich bei Bauvorhaben wandte. Er leitete nicht nur Marathon, sondern hatte auch bei Trockenbau-, Rigips-, Grabungs- und Installationsbetrieben seine Finger im Spiel – um nur einige zu nennen.
»Wenn Donald Trump ein Gebäude errichten will, kann er das nicht ohne uns tun«, sagte Papa zu mir. »Wir kontrollieren die Gewerkschaften, also müssen wir sie nur anrufen und ihnen sagen, sie sollen die Laster stoppen.«
Es war im Oktober 1990, als mein Vater die Familie versammelte und uns mitteilte, dass er eine Weile untertauchen müsse. Wir waren gerade von der Kommunionsfeier meiner Kusine Gina nach Hause zurückgekehrt, als er meinen Bruder und mich in sein Zimmer rief. Ich wusste bereits, dass etwas Großes bevorstand. Schon seit Wochen war das FBI vor meinem Blumenladen postiert. An jenem Abend hatten sie sogar vor dem Eingangsbereich unauffällige Zivilfahrzeuge geparkt.
Über die Jahre
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