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Mafiatochter

Mafiatochter

Titel: Mafiatochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Gravano
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möglich aus dem Gefängnis kam, aber mit den Behörden zu kooperieren war gegen jede Verhaltensregel, die ich je gekannt hatte, gegen alles, woran zu glauben er uns je gelehrt hatte.
    Seit meiner Kindheit hatte mein Vater Gerard und mir eingebläut: »Ihr dürft niemals jemanden hängen lassen, was auch geschieht.« Wenn ich Gerard verpetzte, wurde ich dafür bestraft, und dasselbe galt für ihn. Einmal stritten wir uns wegen eines Thermostats. Er regelte die Temperatur in den oberen Räumen unseres Hauses und befand sich in Gerards Zimmer. Gerard mochte es, wenn es im Haus ziemlich kalt war, also drehte er den Thermostat herunter, schaltete die Klimaanlage ein und verschloss seine Zimmertür. Dann öffnete er nicht, so laut ich auch klopfte. Wir schrieen uns eine Weile an, dann ging ich hinunter zu Papa, doch der sagte: »Ich will nichts hören. Geh wieder nach oben und regelt es untereinander.« Natürlich ging er dazwischen, wenn wir aufeinander losgingen, doch meistens verpetzten wir einander nicht, weil das schlichtweg nicht in Frage kam. Ob es nun um eine Kleinigkeit oder etwas ganz Wichtiges ging, man tat es einfach nicht, und damit basta.
    Als Papa die Bombe platzen ließ, war ich gleichzeitig verletzt, verwirrt, wütend und verängstigt wie nie zuvor in meinem Leben. Das Leben, das ich geführt hatte, war vorbei. Mit dieser einen Aussage brach er mir das Herz. Als Kind war ich Papas kleines Mädchen gewesen. Ich hatte zu ihm aufgesehen, ihn respektiert, ihm vertraut. Obwohl er ein Krimineller war, hatte ich mich stets sicher und rundum beschützt gefühlt. Nun fühlte ich mich vollkommen und zutiefst betrogen. Ich stand auf und schrie durch den ganzen Besuchsraum: »Wie konntest du das bloß tun?«
    Er war ernst und in sich gekehrt, als er mit leiser Stimme entgegnete: »Ich weiß, dass du es nie verstehen wirst, aber das ist etwas, das ich tun muss.«
    »Du hast Recht«, bellte ich zurück. »Das werde ich nie verstehen. Ich weiß nicht einmal, wer du überhaupt bist.« Ich provozierte ihn sogar: »Du willst also zum Verräter werden?« In unseren Kreisen hätte man kaum einen schlimmeren Ausdruck gebrauchen können.
    Mein Vater sagte kein Wort. Ich glaube, es betrübte ihn sehr, mich so zornig reagieren zu sehen. Ruhig sagte er zu mir: »Ich verstehe, was du empfindest. Ich habe lange und gründlich über alles nachgedacht. Ich will, dass du weißt, dass ich dich liebe und immer lieben werde. Ich tue das nicht, weil ich Angst davor habe, im Gefängnis bleiben zu müssen. Ich bin einfach fertig. Ich habe dieses Leben satt. Ich habe das Lügen und Betrügen satt. Ich weiß aber auch, wer ich bin. Ich habe es in meinem ganzen Leben nie zugelassen, dass mich jemand aufs Kreuz legt und bescheißt, sondern habe immer etwas dagegen unternommen. John ist jemand, der andere gern aufs Kreuz legt, aber da ist er an den Falschen geraten.«
    Mein Vater, mein Beschützer und Freund, brach mir an jenem Nachmittag das Herz. Ich war innerlich vollkommen leer. Ich konnte ihm kaum in die Augen sehen. Kurz vor unserer knappen Verabschiedung sagte Papa: »Ich habe der Regierung gesagt, dass ich zwei Wochen brauche, um meiner Familie davon zu erzählen und mein Leben in Ordnung zu bringen. Nächste Woche ist es dann soweit.«
    Er warnte mich vor, dass noch weitere Bomben platzen würden. »Du wirst von Morden erfahren, von allem, worüber wir zu Hause nie gesprochen haben«, sagte er in fast beiläufigem Ton. Damit war unser Besuch beendet.
    Es regnete immer noch, als Mama und ich unter einen Schirm geduckt zum Auto zurückgingen. Es war kalt. Onkel Eddie fuhr uns zurück nach Staten Island. Mama sah sich immer wieder zu mir um und fragte: »Alles klar mit dir? Geht’s dir gut?«
    Mir ging es definitiv nicht gut. Während wir die Verrazano Bridge überquerten, sah ich einem Regentropfen zu, der an meiner Fensterscheibe auf dem Weg nach unten war. Genauso fühlte ich mich, wie ein Regentropfen in einem Sturm, für den es nur eine Richtung gab: abwärts. Als ich an jenem Morgen das Haus verlassen hatte, war ich eine bestimmte Person gewesen. Ich hatte eine spezifische Identität gehabt. Ich war Karen Gravano gewesen, die Tochter von Sammy the Bull. Nun jedoch hatte sich mein gesamtes Leben verändert, und ich ging als Tochter von »Sammy die Ratte« nach Hause. Ich war ein neuer Mensch und fühlte mich so verloren, als hätte mir mein Vater gerade die Seele geraubt.
    Onkel Eddie setzte uns zu Hause ab. Als ich aus dem Wagen

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