Mafiatochter
zu erwarten hatte. Er war draußen und lebte sein Leben. Er hatte erwachsene Söhne und Töchter mit eigenen Familien und Kindern. Vielleicht spürte er in letzter Minute, dass das Ganze doch nicht der richtige Schachzug für ihn war.
Ich erfuhr davon erst später, doch sobald wir die Haftanstalt an jenem Tag verlassen hatten, rief Papa meine Mutter an. Er sagte ihr, dass Onkel Eddie nicht mit im Boot sei. Traurig offenbarte ihm Mama, dass auch sie nicht hinter seiner Entscheidung zur Kooperation stehe. Sie teilte ihm mit, sie habe keinesfalls die Absicht, an einem Zeugenschutzprogramm teilzunehmen, sondern werde mit ihren Kindern auf Staten Island bleiben.
Mama sagte Papa, dass sie ihn immer lieben werde. Was hingegen die Cosa Nostra betraf, sei sie jedoch nie in seine Aktivitäten und Entscheidungen eingebunden gewesen und habe nicht die Absicht, ausgerechnet jetzt damit anzufangen. Er war ganz auf sich selbst gestellt.
Papa war jemand, den manche Menschen als »Wucherer für Wucherer« bezeichneten. Das bedeutete, er verlieh Geld an Leute, die es danach jemand anderem liehen, und zwar zu einem höheren Zinssatz. Auf der Straße schuldete man Papa eine Menge Geld, wahrscheinlich über eine Million Dollar. Ich erfuhr nie genau, was damit geschah, ob es jemand eintrieb oder ob die Schulden einfach verfielen, jedenfalls wurde es uns nie ausbezahlt. Ich bin sicher, dass es meinen Vater besonders ärgerte, dass ihm Eddie nicht beim Eintreiben seiner Forderungen half, doch nun, da er sich einmal zur Kooperation mit den Behörden entschlossen hatte, gab es kein Zurück mehr.
Als wir vom Gefängnis nach Hause kamen, ging ich hoch in mein Zimmer. Mir gingen eine Million Dinge durch den Kopf, die meisten davon waren wenig angenehm. Wo sollten wir leben? Was würde mit uns geschehen? Wer würde sich um uns kümmern? Am nächsten Tag ging ich in den Blumenladen. Onkel Eddie war im Büro der Baufirma und saß an Papas Schreibtisch. Ich konnte sehen, dass er sehr erregt war.
»Geh ein Stück mit mir«, sagte er.
Wir machten denselben Spaziergang, den ich immer mit meinem Vater gemacht hatte, nur, dass ich diesmal über meinen Vater sprach. Damals wusste ich noch nicht, dass Eddie beschlossen hatte, meinen Vater hängen zu lassen.
»Wo werden wir wohnen?«, fragte ich.
»Wir lassen erstmal alles, wie es ist. Du, deine Mutter und Gerard, ihr bleibt im Haus. Ich werde mich ums Geschäft und um dich kümmern.«
Dann tätschelte er mir den Kopf und sagte: »Es kommt schon alles in Ordnung.«
Das Ganze verwirrte mich sehr. Eigentlich wollte ich noch so vieles wissen, traute mich aber nicht, danach zu fragen.
Während der folgenden Woche liefen die Geschäfte im Blumenladen ganz normal. Offenbar wusste niemand außer Onkel Eddie etwas, und für ihn schien alles in Ordnung zu sein. Zu Hause sprachen wir eigentlich nicht über Papas Entscheidung. Eines Abends nahm mich Mama mit zum Abendessen im Imbissrestaurant um die Ecke. Sie sagte mir, sie werde Gerard und mich immer schützen. Ich sagte ihr, dass ich niemals am Zeugenschutzprogramm teilnehmen wolle, und sie versicherte mir, dass wir dies auch nicht tun müssten. Ich merkte, dass mein Vater sie sehr verletzt hatte und dass sie wütend auf ihn war. Doch sie schimpfte nicht und sprach auch nicht schlecht über ihn.
»Wir sind auf uns gestellt«, sagte sie nur.
Wir beide wollten mit Papas FBI-Zusammenarbeit nichts zu tun haben, wenngleich keiner von uns bereit war, ihn komplett aus unserem Leben zu streichen.
Ich verstand nicht, warum Papa das alles tat. Ich bat meine Mutter, es mir zu erklären, aber auch sie hatte keine Antwort darauf. Sie sagte nur, dass es wahrscheinlich das Schwerste sei, was Papa je in seinem Leben tun müsse. Doch was auch immer geschehen möge, so wisse sie stets, dass er uns liebe.
Kurz bevor die Nachricht von Papas FBI-Kooperation in jenem November an die Öffentlichkeit gelangte, rief er meine Mutter an. Er unterschrieb seine Einverständniserklärung zur Zeugenaussage gegen John Gotti im Austausch gegen die Erlassung von bis zu zwanzig Jahren Haft für seine bisherigen Verbrechen. Des Weiteren hatte er ausgehandelt, nicht gegen seine eigenen Leute aussagen zu müssen. Er sagte meiner Mutter, er wolle uns noch ein letztes Mal sehen. Er war bereits vom MCC in die FBI-Zentrale am Marines-Stützpunkt in Quantico, Virginia, verlegt worden. Also mussten wir dorthin kommen.
Später an jenem Tag verkündete meine Mutter ganz entgegen ihrer sonstigen
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