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Mafiatochter

Mafiatochter

Titel: Mafiatochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Gravano
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Außerdem war ich immer noch sehr aufgebracht darüber, was er unserer Familie angetan hatte.
    Schließlich besuchten Lee und ich meinen Vater für ein paar Tage in der Nähe von Boulder. Das war eine große Sache für mich. Papa war Lee erst einmal begegnet, und jetzt war er mein Freund, sodass er ihn nun in einem anderen Licht sah. Ich wusste, dass er viele Gerüchte gehört hatte. Das FBI hatte ihn darüber informiert, womit Lee seinen Lebensunterhalt bestritt, und dass wir beide zusammen waren. Noch im Gefängnis hatten sie meinen Vater aufgesucht, um ihm mitzuteilen, dass seine Tochter »mit einem Typen von der Straße« gehe, und Papa verstand, was das bedeutete.
    Der Ausflug machte großen Spaß. Als uns Papa am Flughafen abholte, trug er statt der sportlichen Kleidung, die ich bei ihm gewohnt war, Jeans und Jeansjacke. Er hatte nicht viel unternommen, um sein Erscheinungsbild zu verändern, und sich lediglich einer minimalen plastischen Operation unterzogen, bei der sein gebrochenes Nasenbein begradigt worden war. Allerdings kleidete er sich nun anders, mit Jeans und Schnürstiefeln. Das FBI hatte ihm eine vollkommen neue Identität verpasst. Sie hatten ihm einen Decknamen gegeben, Jimmy Moran, und eine Baufirma auf ihn eintragen lassen. Ich fand es lustig, dass mein Vater, Sammy the Bull, der mit jeder Faser seines Körpers Italiener war, nun ausgerechnet einen Iren geben sollte. Seinen Brooklyn-Akzent, seine italienische Herkunft und seine Leidenschaft für die sizilianische Küche konnte er einfach nicht verbergen.
    Papas Wohnung hatte einen kleinen Balkon, von dem aus man den Boulder Creek überblickte, der neben dem Hinterhof des Komplexes verlief. Er saß dort gerne in seinem Liegestuhl, schlürfte Kaffee und sah dem vorbei fließenden Wasser zu. Er hatte einen kleinen Hund, einen Zwergdobermann namens Petie, der ihm Gesellschaft leistete. Die Wohnung war sehr hübsch, wenngleich sie nicht dem Geschmack entsprach, den ich von Papa gewohnt war. Er mochte es modern, doch das Apartment war eher im Country & Western-Stil eingerichtet, mit Holzmöbeln, dunklen Fliesen und karierten Vorhängen.
    »Wie lebt es sich hier?«, fragte ich ihn. Ich wusste, dass er immer gern umbaute und renovierte, aber dies war schließlich eine Mietwohnung.
    »Lässt die Hausverwaltung dich Wände einreißen?«, scherzte ich. Dann sprach ich über sein gutes Auge für Design und Stil.
    Papa sagte, es sei ihm egal. Er sei anpassungsfähig und könne überall leben. Die ganzen Umbauten habe er immer nur für uns gemacht, um uns das Leben angenehm zu gestalten. »Ich wollte immer nur das Beste für euch«, antwortete er. »Ich wollte mein Geld nicht für Weiber, Alkohol und schicke Klamotten verpulvern, sondern für meine Familie einen Ort schaffen, wo man sich wohl fühlen und mit Freunden Zeit verbringen konnte.« Schließlich hatte ich ihn dann aber doch soweit, dass er zugab, über diese oder jene Renovierung schon einmal nachgedacht zu haben.
    Papa schien es in Colorado gut zu gehen. Er wirkte entspannt und glücklich. Seine Gewohnheiten und seine Zuversicht waren ganz wie früher. In dieser Hinsicht unterschied ihn nichts von dem Mafia-Unterboss aus New York. Es war jedoch unübersehbar, dass er nun auf einem anderen Weg war.
    Mein Vater war sehr glücklich, mich zu sehen, doch ich glaubte, es ging ihm bei diesem Besuch vornehmlich darum, mit Lee zu sprechen und herauszufinden, was für ein Mensch er war, welche Motive er hatte und wie er mich behandelte. Obwohl sich Lee nichts anmerken ließ, bin ich mir sicher, dass er aus verschiedenen Gründen nervös war, nicht zuletzt deshalb, weil er wusste, wer mein Vater war und wozu er fähig war. Papa konnte auf ruhige Weise einschüchternd sein. Er machte gerne Witze, war aber ein ernster Mann, dem seine Familie sehr viel bedeutete. Er machte sich stets Gedanken darum, welche Rolle jemand in seinem Leben spielen könnte, ganz besonders jetzt.
    In den vier Tagen, die wir dort waren, führte Papa Lee und mich viel herum. Wir gingen essen, machten einen Ausflug in die Berge oder fuhren durch die Gegend, um die lokalen Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Einmal gingen wir sogar nachts in eine Bar, um etwas zu trinken. Es war das erste Mal, dass ich in seiner Gegenwart ein alkoholisches Getränk bestellte. Die ganze Zeit über wusste ich, dass Papa Lee gründlich auf den Zahn fühlte. Er konnte in anderen Menschen wie in einem offenen Buch lesen. Dabei blieb er äußerst beherrscht.

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