Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden
Wasser warm zu machen. Man kann nämlich rostfreien Stahl in kaltem Wasser abwaschen.«
Sie blickte ihn bewundernd an. »O Jim, sehen Sie sich einmal im Spiegel an. Sie sehen wirklich romantisch aus, wie der große Jäger in der einen Hemingway-Geschichte.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie jemals Ihre Schulden begleichen wollen. Sie müssen etwas sparsamer werden, Linda. Vielleicht sollten wir das Klavier doch lieber lassen?«
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Linda fest. »Es ist mir egal, wieviel es kostet. Ein Klavier ist eine Anschaffung fürs Leben, und es ist sie wert.«
Sie war außer sich vor Erregung, als sie in die Stadt zu dem Ausstellungsraum mit den Musikinstrumenten fuhren. Nach einem langen, anstrengenden Nachmittag hatten sie das Klavier die 5. Avenue hinauf und in Lindas Wohnzimmer transportiert. Mayo rüttelte ein letztes Mal daran, um sicher zu sein, daß es fest auf den Beinen stand. Dann sank er erschöpft nieder. »Jesus Maria!« seufzte er. »In den Süden zu wandern wäre leichter gewesen.«
»Jim!« Linda eilte auf ihn zu und umarmte ihn. »Jim, Sie sind ein Engel. Fühlen Sie sich auch wohl?«
»Ja, ja, alles in Ordnung.« Er rang nach Luft. »Lassen Sie mich los, Linda, ich kriege keine Luft.«
»Ich kann Ihnen gar nicht genug danken. Wie lange habe ich mir das schon gewünscht! Ich weiß nicht, was ich tun soll, um das wiedergutzumachen. Alles, was Sie wollen, Sie brauchen es nur zu sagen.«
»Schon gut«, erwiderte er. »Sie haben ja meine Haare geschnitten.«
»Nein, ich meine es ernst.«
»Wollen Sie mir denn nicht das Autofahren beibringen?«
»Aber ja, natürlich. So schnell wie möglich. Das ist doch das wenigste, was ich für Sie tun kann.« Linda ließ sich auf einem Stuhl nieder und starrte das Klavier an.
»Machen Sie doch nicht so viel Aufhebens um nichts«, sagte er und stand auf. Er ließ sich vor der Tastatur nieder und lächelte ihr über die Schulter verlegen zu. Dann streckte er die Hände aus und begann zögernd das Menuett in G zu spielen.
Linda stieß einen erstaunten Schrei aus und sprang auf. »Sie können ja spielen«, flüsterte sie.
»Ach, nein. Als Kind habe ich es mal gelernt.«
»Aber Sie haben es noch nicht vergessen.«
»Ein bißchen kann ich noch.«
»Können Sie Noten lesen?«
»Ja, früher schon.«
»Könnten Sie es mir nicht beibringen?«
»Ich glaube schon; aber es ist ziemlich schwer.« Er spielte ein paar Töne. »Hallo, das ist auch ein Stück, das ich immer spielen mußte.«
Da das Klavier nicht gestimmt war, hörte es sich schauderhaft an.
»Wunderbar«, hauchte Linda. »Einfach wunderbar!« Ein Ausdruck der Entschlossenheit stahl sich auf ihr Gesicht, als sie seinen Rücken anstarrte. Sie stand auf, ging langsam zu Mayo und legte die Hände auf seine Schultern.
Er blickte auf. »Was gibt's?« fragte er.
»Nichts«, erwiderte sie. »Sie können auf dem Klavier üben. Ich mache inzwischen das Essen.«
Während des ganzen Abends war sie so in sich gekehrt und in Gedanken versunken, daß Mayo nervös wurde. Er ging früh zu Bett.
Erst um drei Uhr am nächsten Nachmittag brachten sie ein Auto in Gang, und es war nicht ein Cadillac, sondern ein Chevrolet; es war eine Limousine, denn Mayo hielt das für wetterfester. Sie fuhren zurück zur Eastside, wo sich Linda heimischer fühlte. Sie gestand, daß sich ihre Welt von der 5. bis zur 3. Avenue erstreckte und von der 42. bis zur 86. Straße. Außerhalb dieses Bezirks fühlte sie sich nicht wohl.
Sie überließ Mayo das Steuer und ließ ihn die Straße hinauf- und hinabfahren, damit er das Anfahren und das Halten lernte. Fünfmal fuhr er gegen Autotrümmer an den Straßenseiten, elfmal blieb er stecken, und einmal fuhr er direkt in ein Schaufenster, das zum Glück kein Glas mehr besaß. Er zitterte vor Aufregung.
»Es ist wirklich schwer«, klagte er.
»Das ist nur eine Frage der Übung«, versicherte sie ihm. »Machen Sie sich keine Sorgen, ich verspreche Ihnen, daß Sie in einem Monat perfekt fahren können.«
»Einen ganzen Monat!«
»Sie sagten doch, daß Sie nur langsam lernen, nicht wahr? Also machen Sie nicht mich dafür verantwortlich. Warten Sie hier eine Minute.«
Er brachte den Wagen zum Stehen. Linda stieg aus.
»Warten Sie auf mich.«
»Was haben Sie vor?«
»Eine Überraschung.«
Sie lief in einen Laden und blieb eine halbe Stunde verschwunden. Als sie zurückkam, trug sie ein hauchdünnes schwarzes Kleid, eine
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