Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden
daß Lytha bei ihm ist.« Meine Gedanken forschten ins Innere des Hauses. Bevor meine Füße mich hineintragen konnten, wußte ich, daß Lytha nicht hier war. Aber ich mußte die Kissen berühren und die Decke aufheben, bevor ich überzeugt war. Draußen im Garten, über den die dunklen Wolken hinwegjagten, wechselten Neil und ich besorgte Blicke.
»Wohin könnten sie gegangen sein?« fragte er. »Die armen Kinder. Ich habe bereits die ganze Nachbarschaft durchforscht, und Rosh ist hinauf in die Hügel gegangen. Aber er hat die Kinder nicht gefunden.« Ich sah, wie er die Lippen aufeinanderbiß und in den Mond starrte.
»Hat Timmy irgend etwas zu dir gesagt?« stammelte ich.
»Nein, nichts – nur, du weißt ja, wie aufgebracht beide darüber waren, daß sie in verschiedenen Schiffen fahren sollten, und Timmy – na ja, er hat sich alles überlegt und ist davon überzeugt, daß mit der Heimat nichts geschehen wird, daß der Frühling nur spät eingetroffen ist, und er fand es albern, daß wir alle hinaus in den Raum wollen –«
»Lytha scheint er auch davon überzeugt zu haben«, sagte ich. »Wir müssen sie finden.«
»Carla ist außer sich.« Neil ging mit gebeugten Schultern auf und ab und vergrub die Hände tief in den Taschen. »Wenn wir nur eine Ahnung hätten. Wenn wir sie heute nacht nicht finden, müssen wir morgen die Gruppe benachrichtigen. Timmy würde die Demütigung nie ertragen –«
»Ich weiß – die Kinder sind in diesem Alter so empfindlich.« Neil schwieg, während ich mich konzentrierte, um den Gedanken, nach dem ich suchte, greifen zu können.
– Wie ein weißer Saum um ihre nackten braunen Waden.
»Ich hab's«, erklärte ich. »Wenigstens habe ich eine Idee. Geh zu Carla, ich werde sie suchen. Sag ihr, daß sie sich keine Sorgen machen soll.«
»Meinen Segen«, erwiderte Neil und legte seine Hand auf meine Schulter. »Du und Thann, ihr habt uns schon immer viel geholfen.« Und er entfernte sich über die Wiesen hinweg zu seinem Haus.
Du und Thann – du und Thann, sang es in mir. Ich erhob mich durch die Dunkelheit und breitete meinen persönlichen Schutzschirm um mich aus. Selbst Neil vergißt manchmal, daß Thann schon von mir gegangen ist, dachte ich mit schwerem Herzen. Und plötzlich war die Nacht von Thann erfüllt – von Thann und mir –, wie wir lachten, die Hügel hinaufkletterten, im Mondschein träumten. Wie wir mit Carla und Neil spielten, wie wir uns am Erntetag trafen; die bittersüßen Erinnerungen kamen so schnell und waren so stark, daß ich fast in eine Tanne auf dem Hügel gestürzt wäre. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich über sie hinwegheben.
Vielleicht hat Timmy recht! dachte ich plötzlich. Vielleicht irren sich Simon und die Ältesten. Wie kann ich die Heimat verlassen ohne Thann – der hier auf mich wartet. Dann riß ich mich zusammen. Wie dumm war es von mir, daß ich versuchte, Thann zurückzurufen in ein Leben, dem er schon lange entwachsen war!
Ich glitt langsam auf ein Tal zu, in dem sich ein kleiner See befand, den ich aus Lythas Gedanken wiedererkannte. In dieser Nacht strahlte er keinen beruhigenden Glanz aus. Seine Wellen waren viel zu bewegt, als daß man darauf hätte tanzen oder gehen können. Ich landete auf einem schmalen Sandstreifen und erzitterte, als eine Welle den Sand unter meinen Füßen auflöste.
»Lytha!« rief ich leise und forschte in die Dunkelheit hinein. »Lytha!« Aber es kam keine Antwort aus der winderfüllten Dunkelheit. Ich erhob mich und schwebte zu dem nächsten schmalen Sandstreifen. »Lytha! Lytha!« Ich rief über die Familienfrequenz, so daß nur sie mich hören konnte. »Lytha!«
»Großmutter!« Erstaunen schwang in der Antwort mit. »Großmutter!« Jetzt war die Entrüstung stärker als das Erstaunen.
»Darf ich zu dir kommen?« fragte ich. »Darf ich zu dir kommen?« wiederholte ich, als nicht gleich eine Antwort kam.
»Ja.« Ihre Gedanken waren verschlossen und kalt, als sie mich um den See herum auf die andere Seite des Hügels führte. Sie und Timmy saßen eng aneinandergedrückt in dem kleinen Zelt. Sie hatten sogar ein paar Glüher gefunden. Die meisten von ihnen waren schon gleich nach dem kurzen Sommer gestorben. Es waren nur wenige, die mit ihren zerbrechlich aussehenden Beinen am Dach des Zeltes hingen und ein warmes, goldenes Licht über die kleine Innenfläche warfen. Mein Herz war von Mitleid erfüllt, und meine Augen brannten, als ich sah, daß sie das Zelt wie eine Puppenstube
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