Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 06 - Die Überlebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.A.
Vom Netzwerk:
geben könnte, wenn wir eine neue Heimat gefunden haben?«
    »Wenn wir sogar unsere Eigenen so behandeln könnten, wie verhalten sich dann erst Fremde?« fragte ich und schüttelte das rote Hemd auseinander. »Aber bitte die Macht, daß es nicht so sein wird. Wir können nur beten.«
    Es stellte sich heraus, daß wir uns gar keine Sorgen darüber zu machen brauchten, welche Kleidung wir mitnehmen sollten. Wir mußten praktisch ohne jeden Besitz gehen – es war nur Platz für das Nötigste. Natürlich gab es lautes Geschrei und Proteste, als Eva hörte, daß sie nicht all ihre Puppen mitnehmen konnte, und als sie vor die Notwendigkeit einer Auswahl gestellt wurde – eine, eine einzige ihres Puppenvolkes –, da warf sie sie alle auf einen Haufen in der Ecke des Zimmers und verkündete, daß sie überhaupt keine mitnehmen wolle. David gab ihr einen Klaps auf die nackten Schenkel und trocknete ihr die darauf nun heftig fließenden Tränen. Dann legten sie die Puppen nebeneinander in einer Reihe auf den Fußboden. Sie brauchte drei Tage, um ihre Auswahl zu treffen. Sie wählte diejenige, die sie ›Lauscher‹ getauft hatte.
    »Sie ist kein Er, aber auch keine Sie«, erklärte sie. »Sie ist dazu da, um zu lauschen.«
    »Auf was?« neckte Davie sie.
    »Auf alles, was ich gern sagen möchte, aber niemandem erzählen kann«, antwortete Eva ernst. »Zu Lauschern braucht man nicht mit richtigen Worten zu sprechen. Man muß sie nur berühren, und dann weiß Lauscher sofort, was man fühlt, und sie sagt dir, warum dieses Gefühl nicht gut ist, und dann geht das Schlechte fort.«
    »Nun, dann frage deine Lauscher, wie du deine schlechte Grammatik wegbekommen sollst«, lachte Davie. »Du bringst deine Sätze völlig durcheinander.«
    »Lauscher weiß, was ich meine, und du weißt es auch!« entgegnete Eva. Nachdem sie also endlich ihre Wahl getroffen hatte, Lauscher fest an sich drückte und mit großen, traurigen Augen auf ihr restliches Spielvolk blickte, schlug Davie vor: »Warum begräbst du die anderen nicht? Sie sind jetzt so gut wie abberufen, und du kannst sie nicht einfach herumliegen lassen.«
    Und von da an bis zum letzten Tag war Eva voller Eifer damit beschäftigt, ihre Puppen zu begraben; immer wieder fand sie bessere, noch günstigere oder hübschere Plätze für die Gräber.
    Eines Abends, als ich ruhig dasaß, gesellte sich Lytha zu mir. Wir lauschten dem Geplapper der Kinder, die zu Bett gingen. »Was wohl mit dem Heim geschehen wird, nachdem wir weg sind?« fragte Eva.
    »Oh, wahrscheinlich wird es zittern und beben und sich ganz weit aufspalten. Feuer und Lava werden herausschießen, und alles wird auseinanderfallen und verbrennen«, erwiderte Davie genauso ruhig und gleichgültig, wie Eva die Frage gestellt hatte.
    »Ach!« sagte Eva. »Und was passiert dann mit meinen Puppen? Meinst du, daß sie in den Gräbern nicht sicher sind? Schließlich kann sie ja niemand sehen.«
    »Sie werden Feuer fangen und hell auflodernd verbrennen«, erklärte Davie.
    »Hell auflodernd verbrennen!« Eva seufzte glücklich. »O Davie! Ich möchte das gern sehen, wie meine Puppen hell auflodernd verbrennen! Darf ich, Davie, darf ich?«
    »Sei nicht dumm!« sagte Davie. »Wenn du hier wärst, um das zu sehen, dann würdest du selbst hell auflodernd zu brennen beginnen.«
    »Hell auflodernd verbrennen! Hell auflodernd verbrennen!« sang Eva glücklich vor sich hin. »Mein ganzes Spielvolk – hell auflodernd!« Allmählich verstummte sie.
    »Großmutter«, sagte Lytha, »ist das wirklich wahr?«
    »Was soll wirklich wahr sein?« fragte ich.
    »Daß die Heimat nicht mehr sein wird und wir alle fort von hier.«
    »Aber ja, Lytha, warum zweifelst du daran?«
    »Weil – weil –«, sie deutete auf die Wände. »Sieh nur, es ist alles so fest – die Steine, alle sitzen sie so fest aufeinander – so – so unabänderlich. Wie kann das alles auseinanderfallen?«
    »Du weißt schon lange, daß nichts auf dieser Seite ewig ist«, sagte ich. »Nichts, überhaupt nichts, außer der Liebe. Und selbst die löst sich so stark in den Dingen dieser Seite auf, daß, wenn der Mann deiner Liebe gerufen wird ...« Die Erinnerung an Thann brannte wie Feuer in mir. »O Lytha! Stell dir vor, du mußt in das Gesicht deines Geliebten sehen und du weißt, daß irgend etwas auseinandergefallen ist und daß du ihn niemals wieder auf dieser Seite als ein Ganzes sehen wirst!«
    Und da wußte ich auch schon, daß ich etwas völlig Falsches gesagt hatte.

Weitere Kostenlose Bücher