Magazine of Fantasy and Science Fiction 08 - Irrtum der Maschinen
man denkt so etwas nicht einmal.«
Aber er schien das Interesse an diesem Thema zu verlieren. »Was für einen albernen Ring tragen Sie da? Der paßt gar nicht zu Ihrem Kleid. Werfen Sie ihn weg.«
»Das kann ich nicht, Gregory«, murmelte ich und drehte den Ring an meinem Finger. »Es ist ein Geschenk von einem – einem sehr lieben Freund.« Das war wahr, der Blinde war mir ein lieber Freund geworden, mein einziger Freund, denn Mr. Huntington sah ich nur zu den Mahlzeiten – und Gregory war schließlich nur ein Kind. Immer, wenn ich ausging, um einzukaufen, oder auch, um einen Spaziergang zu machen, dann blieb ich an der Ecke stehen, um mich mit dem Blinden zu unterhalten, der jetzt jeden Morgen und auch an den Nachmittagen da war. Er war so beruhigend und sympathisch.
»Ein Freund!« wiederholte Gregory ungläubig. »Sie wollen sagen, daß Sie jemand mag!«
»Magst du mich denn nicht, Gregory?«
»Ich finde, daß Sie eine alberne Person sind. Ich verabscheue Sie, weil ich Dummköpfe nicht leiden kann.«
Da sein Körper vollkommen rund war, wußte ich nicht genau, wo sich der Teil befand, auf dem man Kinder gewöhnlich bestraft; deshalb klopfte ich ihn auf die Stelle, die ich gerade erreichen konnte. Gregory schrie auf – wie ein völlig normales Kind. Ich konnte Mr. Huntingtons gemessenen Schritt von der Treppe her hören; er bewegte sich langsam und steif, so daß ich noch schnell ein paar Hiebe anbringen konnte. Als er das Zimmer betrat, schimpfte Gregory wütend in seiner Muttersprache.
»Wir wollen englisch sprechen«, sagte Mr. Huntington, »sonst kann uns Miss Brown nicht verstehen. Wir wollen doch nicht, daß sie sich bemüßigt fühlt, unsere Sprache zu lernen, nur weil wir sie ständig in ihrer Anwesenheit gebrauchen.«
»Sie hat mich geschlagen!« kreischte Gregory jetzt auf Englisch. »Schlag sie auch.«
»Es ist hier üblich, Kinder zu schlagen«, erklärte Mr. Huntington ruhig. »Aber es ist nicht der Brauch, Frauen zu schlagen. Wenn ich Miss Brown schlagen würde, so würde ich die Gesetze verletzen.«
»Es ist deine Pflicht, mich zu beschützen!« rief Gregory wütend.
»Du befindest dich nicht in Gefahr. Sie meint es gut mit dir.«
»Ich – ich reiße dich in Stücke«, kreischte der kleine Junge.
Mr. Huntington blieb ruhig. »Erinnere dich dran, Gregory, daß ich dein Vater bin. Der einzige Vater, den du besitzt. Es wäre schwierig, mich ... mich zu ersetzen.«
Gregory atmete heftig und blickte ihn an. Er sagte nichts.
Er war zu jung, um zu wissen, daß man einen Vater nicht zu ersetzen brauchte; man kann sehr gut ohne ihn auskommen.
»Tun Sie, was Sie für richtig halten, Miss Brown«, sagte Mr. Huntington zu mir. »Schlagen Sie Gregory, wenn Sie glauben, daß es gut für ihn ist. Ich selbst kann mich nicht dazu hergeben – die Erinnerung an seine Mutter –, aber es besteht kein Grund dafür, warum Sie sich zurückhalten sollten, und – wirklich, ich hoffe sehr, daß Sie von meiner Erlaubnis, es zu tun, Gebrauch machen werden.« Zum erstenmal sah ich auf seinem Gesicht ein leichtes Lächeln, ein etwas starres Lächeln, anscheinend strengte es ihn an, seinen Mund zu verziehen. »Ich stimme ganz und gar mit den Erziehungsmethoden Ihres Landes überein, Miss Brown, man soll kleine Kinder nicht verziehen.«
Beim Essen schien er in Gedanken versunken zu sein. Mir ging es ebenso. Meine alten Zweifel an mir selbst waren zurückgekehrt. Im Grunde genommen war Gregory natürlich ein lieber kleiner Bursche, aber war ich auch kompetent, um sein Inneres zu erreichen? »Mr. Huntington«, begann ich, »ich weiß, daß ich mir selbst damit nichts Gutes tue, wenn ich Ihnen diesen Vorschlag unterbreite, aber glauben Sie nicht, daß es besser wäre, wenn Gregory in die Schule ginge?«
»Schule ...?« Mr. Huntington blickte mich ungläubig an, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, ich fürchte, Gregory wird das nicht gern haben.«
»Es ist völlig aus der Mode gekommen, die Kinder nach ihrer Meinung und ihrer Erlaubnis zu fragen«, wandte ich ein. »Gregory könnte gar nichts dagegen tun.«
Mr. Huntington stocherte mit der Gabel in seinem Essen herum. »Ich ... versprach seiner Mutter, daß ich ihn niemals zur Schule schicken würde.«
»War sie sehr hübsch?« konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen. »Mrs Huntington, meine ich?«
Mr. Huntington schwieg eine lange Zeit, so daß ich schon glaubte, er hätte meine Frage nicht verstanden. Dann antwortete er heiser: »Wunderschön.«
In
Weitere Kostenlose Bücher