Magazine of Fantasy and Science Fiction 08 - Irrtum der Maschinen
anzuhalten und ihnen das Schreckliche ins Gesicht zu schreien.
Dann wankte er durch die Oxford Street und durch enge, verrufene Gassen. Zwei Frauen mit grell bemalten Gesichtern riefen ihm Spottworte nach, als er an ihnen vorbeitaumelte. Aus einem dunklen Hof ertönten Flüche und Schläge, gefolgt von schrillem Kreischen; auf einer feuchten Türschwelle sah er die gekrümmten Gestalten der Armut und des Elends liegen. Ein seltsames Gefühl von Mitleid überkam ihn. War das Schicksal dieser Kinder der Sünde bis zum Ende vorherbestimmt, so wie das seine? Waren sie, genauso wie er, nur die Marionetten einer schrecklichen Gewalt?
Und doch war es weniger sein Geheimnis, als vielmehr das ungeheure Leid, das ihn niederdrückte; die absolute Sinnlosigkeit. Wie inkonsequent alles schien! Wie bar jeder Harmonie! Er war erstaunt über den Mißton zwischen dem oberflächlichen Optimismus des Tages und den wahren Tatsachen der Existenz.
Nach einer Weile fand er sich vor der Marylebone Church wieder. Die stille Straße sah wie ein langes Band aus poliertem Silber aus, hier und dort belebt von schwankenden Schatten. In einem weiten Bogen erstreckte sich das Flackern der Gaslampen in die Ferne; vor einem kleinen, von einer Mauer umgebenen Haus stand eine einsame Droschke, deren Kutscher schlief. Hastig ging er in Richtung Portland Place davon, hin und wieder blickte er sich um, als fürchtete er, verfolgt zu werden. An der Ecke der Rich Street standen zwei Männer und lasen den Anschlag an einer Tafel. Ein seltsames Gefühl der Neugier überkam ihn, und er ging darauf zu. Als er näher kam, fiel sein Blick auf das Wort »Mord«, das in schwarzen Buchstaben darauf gedruckt war.
Er stutzte, Schreck durchfuhr ihn. Es war eine Anzeige, die eine Belohnung für jede Information versprach, die zu der Ergreifung eines Mannes mittlerer Größe, zwischen dreißig und vierzig Jahren, führte, der einen Filzhut trug, einen schwarzen Umhang, karierte Hosen, und der auf der rechten Wange eine Narbe hatte. Immer wieder las er den Text, fragte sich, ob der Unglückselige gefaßt werden würde. Vielleicht würde eines Tages sein eigener Name an den Wänden und Mauern Londons zu lesen sein. Eines Tages würde man vielleicht einen Preis auf seinen eigenen Kopf aussetzen.
Dieser Gedanke verursachte ihm Übelkeit. Er drehte sich auf dem Absatz um und lief davon in die Nacht.
Er wußte kaum, wohin er seine Schritte lenkte. Er hatte das dumpfe Gefühl, durch ein Labyrinth schmutziger Häuser zu wandern, sich in einem riesigen Netz düsterer Straßen zu verirren, und es war schon heller Morgen, als er sich endlich auf dem Piccadilly Circus wiederfand. Während er über den Belgrave Square nach Hause wanderte, begegnete er den großen Transportwagen, die auf dem Weg nach Covent Garden waren. Die in weiße Kittel gekleideten Fuhrmänner mit den sonnengebräunten Gesichtern und dem dicken krausen Haar stampften mit festen Schritten an ihm vorbei, ließen ihre Peitschen sausen und riefen einander hin und wieder etwas zu; auf dem Rücken eines grauen Pferdes saß ein pausbäckiger Junge, der Anführer einer lärmenden Horde, mit einem Strauß Primeln am Hut, und hielt sich mit den kleinen Händen an der Mähne fest und lachte; die großen Stapel Gemüse sahen wie riesige Haufen Jade aus, wie Haufen grüner Jadesteine, die sich gegen den rosig gefärbten Morgenhimmel abhoben.
Lord Arthur fühlte sich von dieser Szene seltsam berührt, er wußte eigentlich nicht, warum. Etwas war an dieser zarten Schönheit der Morgendämmerung, das auf ihn unbeschreiblich pathetisch wirkte; er dachte an all die Tage, die in Schönheit anbrechen und stürmisch enden. Und diese Landleute mit ihren rauhen Stimmen und ihrer ungehemmten Art, sich zu bewegen – welch ein fremdartiges London sich vor ihm ausbreitete! Ein London, frei von der Sünde der Nacht und dem Rauch des Tages! Was sie wohl darüber dachten? Ob sie etwas wußten von dem Glanz und dem Elend dieser Stadt? Von ihrer Wildheit, ihren ungestümen, farbigen Freuden und ihrem furchtbaren Hunger, von all dem Tun und Treiben, das hier von morgens bis abends herrschte. Wahrscheinlich war es für sie nur ein Markt, zu dem sie ihr Gemüse brachten, um es zu verkaufen, wo sie sich nur wenige Stunden aufhielten, wenn die Straßen noch still waren und in den Häusern alles schlief. Es verursachte ihm ein angenehmes Gefühl, sie dabei zu beobachten, wie sie an ihm vorbeizogen, stämmig gebaut, mit ihren schweren,
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