Magazine of Fantasy and Science Fiction 08 - Irrtum der Maschinen
sein Gesicht zu einer weißen Fratze des Entsetzens, aber er erholte sich gleich wieder, und mit einem Blick zu Lady Windermere sagte er, gezwungen lächelnd: »Es ist die Hand eines charmanten jungen Mannes.«
»Natürlich ist sie das!« entgegnete Lady Windermere. »Aber wird er auch ein charmanter Ehemann sein? Das möchte ich vor allem wissen.«
»Alle charmanten jungen Männer sind das«, entgegnete Mr. Podgers.
»Ich glaube nicht, daß Ehemänner überhaupt charmant sein sollten«, murmelte Lady Jedburgh nachdenklich. »Es ist zu gefährlich.«
»Mein liebes Kind, Ehemänner können gar nicht charmant genug sein«, rief Lady Windermere. »Aber ich möchte Details hören. Details sind immer am interessantesten. Was wird mit Lord Arthur geschehen?«
»Nun, Lord Arthur wird während der nächsten Monate auf eine Reise gehen ...«
»Aber natürlich, auf seine Hochzeitsreise!«
»Und einen Verwandten verlieren.«
»Doch nicht etwa seine Schwester?« rief Lady Jedburgh mit kläglicher Stimme.
»Nein, ganz bestimmt nicht seine Schwester«, entgegnete Mr. Podgers mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Nur einen entfernten Verwandten.«
»Ich muß schon sagen, ich bin ziemlich enttäuscht«, sagte Lady Windermere. »Nichts, was ich Sybil morgen erzählen könnte. Niemand kümmert sich doch heutzutage noch um entfernte Verwandte. Die sind schon seit vielen Jahren völlig aus der Mode gekommen. Jedenfalls ist es vielleicht besser, wenn Sybil immer einen schwarzen Schleier bei sich hat. Das genügt in der Kirche auf alle Fälle. Aber jetzt wollen wir in den Speisesaal hinübergehen. Sicherlich haben die anderen schon alles verzehrt, aber vielleicht finden wir noch etwas heiße Suppe. Francois hat immer eine himmlische Suppe zubereitet, aber er beschäftigt sich derzeit so sehr mit Politik, daß ich mich gar nicht mehr auf ihn verlassen kann. Ich wünschte, General Boulanger würde den Mund halten. Meine liebe Herzogin, sicherlich sind Sie schon müde?«
»Aber ganz und gar nicht, meine liebe Gladys«, antwortete die Herzogin und watschelte auf die Tür zu. »Ich habe mich sehr gut amüsiert, und der Chiropraktiker – ich meine, der Chiromant – ist hinreißend. Flora, wo kann mein Schildpattfächer hingekommen sein? Oh, ich danke Ihnen, Sir Thomas, vielen Dank. Und mein Seidenschal, Flora? Oh, ich danke vielmals, Sir Thomas, sehr reizend von Ihnen.« Und die würde volle Dame erreichte tatsächlich das untere Ende der Treppe, ohne ihr Riechfläschchen mehr als zweimal fallen gelassen zu haben.
Die ganze Zeit über hatte Lord Arthur Savile am Kamin gestanden. Das Gefühl kommenden Unheils verließ ihn nicht. Er lächelte seiner Schwester traurig zu, als diese an Lord Blymdales Arm an ihm vorbeirauschte; sie sah in ihrem rosa Kleid sehr hübsch aus. Er hörte kaum, als Lady Windermere ihn aufforderte, ihnen zu folgen. Er dachte an Sybil Merton, und der Gedanke, daß sich irgend etwas zwischen sie und ihn stellen könnte, trieb ihm die Tränen in die Augen. Wer ihn sah, hätte meinen können, Nemesis hätte den Schild der Pallas gestohlen und ihm die Medusenaugen gezeigt. Er schien zu Stein erstarrt; sein Gesicht war weiß wie ein Leinentuch. Er hatte das sorglose und luxuriöse Leben eines jungen Edelmannes gelebt, ein Leben, das frei war von allem Schmutz und jeder Gemeinheit, voller wunderbarer jungenhafter Leichtigkeit – und jetzt dämmerte in ihm zum erstenmal der Gedanke an das furchtbare Geheimnis des Schicksals, der entsetzlichen Bedeutung der Bestimmung.
Wie wahnsinnig und ungeheuerlich all dies erschien! Könnte es sein, daß in seiner Hand, in seinem Charakter etwas lag, das er selbst nicht lesen konnte, aber das ein anderer entdeckte, daß darin ein entsetzliches Geheimnis von Sünde, ein blutiges Zeichen des Verbrechens stand? Gab es kein Entrinnen? Waren sie alle nichts anderes als Schachfiguren, die eine unsichtbare Macht hin und her schob? Seine Vernunft bäumte sich dagegen auf, und doch fühlte er, daß über ihm ein Verhängnis schwebte, daß er dazu auserwählt war, eine unsagbare Last zu tragen. Schauspieler haben es gut. Sie können wählen, ob sie in einer Tragödie oder in einem Lustspiel auftreten wollen, ob sie leiden oder glücklich sein wollen, lachen oder weinen. Aber im wirklichen Leben ist das anders. Die meisten Männer und Frauen sind gezwungen, Rollen zu spielen, für die sie nicht im mindesten qualifiziert sind. Unsere Güldensterns spielen für uns den Hamlet, und unsere
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