Magazine of Fantasy and Science Fiction 09 - Die Kristallwelt
hatte, betraten ein Mann und eine Frau den Waschraum. Dann erinnerte er sich daran, daß das Gebäude zwei Stockwerke hatte. Er wollte sich gerade bewegen, als er unbewußt innehielt.
Die beiden gingen zur ersten Bank. Der Mann berührte die Frau, die die Sodaflasche verschüttet hatte. Die Frau fiel vornüber. Dann blickte Jerry zu den anderen. Sie saßen da, als wären sie aus Plastik, weich, elastisch und leicht. »Alle fertig«, sagte die Frau. Ihre Stimme hatte einen kühlen, klaren Klang. Jerry erschauerte. Sie und der Mann hoben die schlaffen Körper auf, warfen sie sich über die Arme wie leere Gewänder, die gewaschen und trockengeschleudert waren. Der Mann drückte auf einen Knopf. Die lähmende, heiße Luft schoß durch Ventilatoren in den Wänden davon. Durch andere Ventilatoren strömte der Duft getrockneter Wäsche ein. Der Mann sagte: »Beeil dich. Wir müssen den Raum so schnell wie möglich lüften.«
Die Frau warf die schlaffen Körper in einen Wäschekorb und stopfte sorgfältig ein Handtuch darüber, so daß nichts mehr zu sehen war. »Dreimal herum genügt schon«, sagte sie mit ihrer klaren, kalten Stimme. Der Mann und sie lächelten einander an. Sie blickten sich um, wie um sicherzugehen, daß sie nichts vergessen hatten. Dann hoben sie den Korb auf und trugen ihn zur vorderen Tür. Jerry beobachtete sie von seinem Versteck aus. Dann eilte er zum Fenster und wischte mit der Hand den Dunst weg, so daß er hinaussehen konnte. Der Mann und die Frau setzten sich in ein Auto, das direkt vor der Tür parkte. Zwischen ihnen stand der Korb. Während Jerry noch dastand und sie beobachtete, fuhr der Wagen an, bog um die Ecke – und war verschwunden.
Jerry lief nach draußen. Irgend etwas lag auf dem Boden. Es sah wie ein Handschuh aus. Ganz automatisch bückte er sich und hob es auf. Es fühlte sich schlaff und weich an – wie lebende Haut. Mit einem entsetzten Aufschrei ließ er es fallen.
Die Kristallwelt
J. G. Ballard
Während des letzten Jahres, seit die Nachrichten darüber, was man jetzt als den Hubble-Effekt, das Rostov-Lysenko-Syndrom oder das LePage-Verstärkungsphänomen bezeichnet, zum erstenmal weltweite Beachtung fanden, sind aus den drei im Brennpunkt liegenden Gebieten in Florida, Weißrußland und Madagaskar so viele widerstreitende Berichte eingetroffen, daß ich es als notwendig erachte, meiner eigenen Darstellung dieses Phänomens die Versicherung vorauszuschicken, alles auf persönliche Erfahrungen und Anschauungen gestützt zu haben. Ich habe sämtliche angeführten Begebenheiten bei meinem kürzlichen, fast tragisch endenden Besuch in den Everglades-Sümpfen Floridas, der von der Regierung der Vereinigten Staaten für die Wissenschaftlichen Attaches in Washington organisiert wurde, mit eigenen Augen beobachtet. Das einzige, was ich nicht auf die Richtigkeit untersuchen konnte, sind die Einzelheiten über das Leben von Charles Foster Marquand, die ich aber von Captain Shelley erhielt, dem ehemaligen Polizeichef von Maynard, und obgleich dieser ein voreingenommener und nicht ganz glaubwürdiger Zeuge war, meine ich doch, daß sie bis zu einem gewissen Grad richtig sind.
Wie viel Zeit uns allen noch bleibt – wo immer wir uns auch befinden –, das ist noch immer eine reine Mutmaßung. Während ich hier, in der Sicherheit und der Ruhe des Gartens der Britischen Botschaft in Puerto Rico sitze und schreibe, lese ich in der heutigen New York Times , daß die gesamte Halbinsel von Florida, mit Ausnahme einer einzigen Straße nach Tampa, geschlossen worden ist und daß bis heute über drei Millionen Einwohner der Vereinigten Staaten in andere Gebiete umgesiedelt wurden. Aber abgesehen von dem geschätzten Verlust an Land und Bodenwerten und Hoteleinkünften scheinen die Nachrichten über diese außerordentliche Völkerbewegung wenig Kommentare hervorgerufen zu haben. Aber so ist der Mensch nun einmal; sein angeborener Optimismus und die Überzeugung, jede Katastrophe überleben zu können, sind so groß, daß er ganz unbewußt die augenblicklichen Vorfälle in Florida mit einem Achselzucken beiseite schiebt und darauf vertraut, daß irgend etwas gefunden wird, das die Krise, wenn sie endgültig hereinbricht, schon abwenden wird.
Und doch ist es jetzt ganz offensichtlich, daß die wahre Krise längst vorbei ist. Ganz versteckt befindet sich auf der letzten Seite der Ausgabe der New York Times eine kurze Notiz über die Sichtung einer weiteren »doppelten Galaxis«
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