Magazine of Fantasy and Science Fiction 12 - Die letzte Stadt der Erde

Gesichter. Aber alle verließen die Straße und bewegten sich in Richtung auf das Meer zu.
    Reordon schüttelte den Kopf.
     
    »Ich verstehe das einfach nicht«, sagte er, wohl schon zum hundertstenmal in dieser Woche. »Ich verstehe es nicht.«
    Carmack zuckte die Achseln.
    »Du darfst nicht darüber nachdenken, das ist alles. Wir können es nicht ändern.«
    »Aber es ist doch Wahnsinn!«
    »Und wenn schon – du siehst, sie gehen trotzdem.«
    Die beiden Polizisten sahen hinter den Menschen her, die quer über den breiten Sandstreifen wanderten, bis sie das Wasser erreichten. Ohne zu zögern, gingen sie weiter. Einige begannen zu schwimmen, aber die meisten versuchten es erst gar nicht. Die vollgesogenen Kleider zogen sie sofort in die Tiefe. Carmack sah eine junge Frau verzweifelt um sich schlagen. Sie trug einen wertvollen Pelz. Sie versank in wenigen Sekunden. Minuten später war niemand mehr zu sehen. Die Polizisten starrten auf die Stelle, an der die Leute verschwunden waren.
    »Wie lange soll das noch anhalten?« fragte Reordon.
    »Bis niemand mehr da ist, nehme ich an.«
    »Aber – warum?«
    »Hast du schon einmal etwas von den Lemmingen gehört?«
    »Nein, noch nie. Was sind Lemminge?«
    »Nagetiere«, erklärte Carmack, »die in Skandinavien leben. Sie vermehren sich unheimlich schnell und so lange, bis sie kein Futter mehr finden können. Dann gehen sie auf die Wanderschaft und durchqueren das ganze Land. Früher oder später erreichen sie die Küste, aber sie machen da nicht halt. Sie setzen ihren Weg fort. Sie stürzen sich einfach ins Meer und schwimmen, bis ihre Kräfte nachlassen und sie ertrinken. Millionen und aber Millionen von ihnen.«
    »Und man weiß nicht, warum sie das tun?«
    »Nein.«
    »Aber das hier ist etwas anderes. Menschen sind keine Lemminge.«
    »Sie tun es trotzdem, oder ...?«
    Schweigen.
    Sie standen da und warteten, aber es kamen keine neuen Wagen.
    »Wo bleiben sie denn?« fragte Reordon.
    »Vielleicht sind keine mehr da«, vermutete Carmack.
    »Das ist unmöglich! Sie können doch nicht alle ...«
    »Es geschieht seit mehr als einer Woche, und der Meeresstrand ist lang. Außerdem gibt es im Inland die vielen Seen.«
    Reordon schauderte zusammen.
    »Da auch, meinst du?«
    »Ich weiß es nicht. Jedenfalls sehe ich keine mehr. Gäbe es noch welche, würden sie längst hier sein.«
    »Lieber Himmel!« stöhnte Reordon.
    Carmack zündete eine Zigarette an.
    »Was nun?« fragte er.
    Reordon seufzte.
    »Sind wir jetzt dran?«
    »Geh du zuerst«, sagte Carmack. »Ich warte noch, ob sich jemand verspätet hat.«
    »Einverstanden.« Reordon streckte seinem Kollegen die Hand hin. »Lebwohl, Carmack.«
    »Lebewohl, Reordon.«
    Sie schüttelten sich die Hand.
    Carmack blieb stehen und rauchte seine Zigarette. Er sah hinter Reordon her, der quer über den Strand ging und im Wasser verschwand. Nur vier oder fünf Schwimmstöße, dann war er untergegangen. Die Uniform war schwer.
    Carmack warf die Zigarette fort. Es war kein Auto mehr gekommen.
    Langsam schritt er auf das Wasser zu, bis er die Nässe und die Kälte spürte.
    Dann spürte er nichts mehr.
    Mehr als eine Million Autos standen leer und verlassen am Strand des leeren Kontinents.
     

Zwischenspiel auf Lodan
    (The Hills Of Lodan)
     
     
Harold Calin
     
     
    Es war eine Stunde nach Anbruch der Dunkelheit. Sie saßen um das Feuer herum. Obwohl die Anweisung bestand, daß sich nach der Dämmerung alle Expeditionsteilnehmer in ihren Unterkünften aufzuhalten hatten, waren sie im Freien geblieben. Außerdem existierten noch keine Unterkünfte im Sinne des Handbuches, sondern lediglich drei Leichtmetallhütten; eine diente als Geräteschuppen, die anderen zwei als Schlafstätten.
    Keiner der drei Männer am Feuer verspürte Lust zum Schlafen. Zuviel war heute geschehen. Außerdem faszinierte sie der Gedanke, auf einem unbekannten Planeten im Freien zu übernachten. Nach vierzehn Wochen Zusammengepferchtsein im Raumschiff war das ein Luxus, den man sich nicht entgehen lassen wollte.
    Einer der drei Männer hatte eine dunkle Haut und war größer als die anderen. Zwar trug er die gleiche Uniform – das Braun der Pionierbrigade –, aber über dem Dienstabzeichen war ein Schild. Darauf stand: Mars. Er war Leutnant. Einer der anderen beiden Männer, die von der Erde stammten, hatte den gleichen Dienstrang. Er war noch jung und machte seine erste Dienstreise.
    Der Mann mit der dunklen Haut hieß Dekker Barents. Er stellte seinen Teller