Magazine of Fantasy and Science Fiction 19 - Welt der Illusionen
Traumaufzeichnungen gemacht, bevor wir bestimmt wußten, daß wir ihm ein glückliches Ende vermitteln konnten. Durch einen seltsamen Zufall war es sogar das Ende, das er fast aus eigener Kraft erreicht hätte. Aber das konnten wir nicht wissen, als er zu fliehen versuchte. Wir mußten alle erforderlichen Tests durchführen. Wir mußten es ganz bestimmt wissen! Der größte Kunstfehler, den es für einen Euthanasiearzt geben kann, ist ein unglückliches Ende des Patienten.
Lassen Sie mich deshalb nochmals betonen, meine Damen und Herren: Euthanasie ist in erster Linie keine wissenschaftliche, sondern eine künstlerische Tätigkeit. Ich behaupte sogar, daß ein Euthanasiearzt zu den größten Künstlern der Gegenwart gehören muß.
Ein Gedicht oder eine Symphonie lassen sich nachträglich korrigieren, verbessern oder umschreiben. Aber der letzte Traum eines sterbenden Menschen wird nur einmal gespielt.«
Larry Eisenberg
Der Geigenvirtuose
Die größte Enttäuschung in Ben Coulters Leben war seine Unfähigkeit, gut Violine zu spielen. Als Kind hatte er jeden Tag stundenlang verbissen geübt, weil er davon träumte, später einmal als gefeierter Künstler auf dem Konzertpodium zu stehen. Aber seine Finger waren nie gelenkig genug, und sein Spiel erzeugte niemals den sprühenden Funken, der auf die Zuhörer überzuspringen scheint, wenn ein wirklich großer Violinist den Bogen ansetzt.
Sein Geigenlehrer brachte ihm diese traurige Tatsache schonend bei, als er sechzehn geworden war. Er bestätigte allerdings nur, was Ben bereits ahnte oder wußte – daß sein Spiel trotz aller Anstrengungen immer nur hoffnungslos zweitklassig bleiben würde. Ben war noch monatelang wie betäubt und raffte sich dann endlich zu dem Entschluß auf, Elektronikingenieur zu werden, weil er seine mathematische Begabung auf diesem Gebiet eigenschöpferisch zu Entwürfen einsetzen konnte. Er hatte zwar Spaß an seiner Arbeit, aber nachdem er fünfzehn Jahre immer wieder ähnliche Schaltungen für Radargeräte konstruiert hatte, war er gründlich enttäuscht und hatte das Leben ziemlich satt.
Obwohl seine Eltern beide gestorben waren, bevor er die Schule verlassen hatte, erinnerte er sich noch sehr gut an seinen Vater, einen cholerischen, temperamentvollen Mann, der als Erster Cellist seinem Instrument herrliche Töne entlockt hatte. Die Abende im Elternhaus waren stets mit Musik erfüllt gewesen, denn Bens Vater traf sich regelmäßig mit drei Kollegen zu einem Streichquartett, das zum eigenen Vergnügen längst vergessene Kostbarkeiten klassischer Musik spielte. Ben Coulter dachte noch immer sehnsüchtig an diese Abende zurück, die zu seinen kostbarsten Erinnerungen gehörten.
Ben lebte nur für die Musik und hatte kaum andere Interessen. Unternahm er in seiner Freizeit den Versuch, sich für ein Ballett oder sogar ein Theaterstück zu interessieren, kehrten seine Gedanken unwillkürlich immer wieder zu seiner geliebten Kammermusik zurück. Als er einmal bei seiner Freundin war, hatte er sich aus ihrer zärtlichen Umarmung gelöst, um das Radio besser einzustellen, in dem Mozart gespielt wurde. Das Mädchen hatte ihn wütend hinausgeworfen, aber Ben konnte sich nie recht erklären, weshalb es plötzlich diesen Wutanfall bekommen hatte.
Er war jetzt einunddreißig und noch immer Junggeselle. An einem unfreundlich grauen Wintermorgen wachte er mit einem schrecklichen Gefühl nagender Unzufriedenheit auf und stellte fest, daß sein Leben im Grunde genommen gähnend leer geblieben war. Er ging an den Kleiderschrank, nahm seine Violine aus dem Kasten und wischte die gewölbten Flächen sorgfältig mit einem weichen Tuch ab. Dann legte er eine Aufnahme von Brahms' Violinkonzert in D-Dur (ohne den Solopart) auf und begann mit allem Feuer zu spielen, dessen er fähig war. Aber als die Schallplatte erst halb abgelaufen war, erschrak er fast vor seiner eigenen Unfähigkeit, stellte den Plattenspieler ab und verstaute den Geigenkasten wieder im Schrank.
Am liebsten hätte er seinen Abteilungsleiter angerufen und ihm gesagt, er sei heute krank und könne leider nicht kommen. Aber er war schon immer ein schlechter Lügner gewesen und fuhr deshalb widerstrebend ins Büro. In den folgenden Wochen ließ seine Konzentrationsfähigkeit immer mehr nach, und er döste sogar bei wichtigen Besprechungen. Seine Kollegen beobachteten ihn mitleidig lächelnd oder auch feindselig, und schließlich nahm ihn sein Abteilungsleiter beiseite, um ihn zu
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