Magazine of Fantasy and Science Fiction 19 - Welt der Illusionen
wo er vom Hubschrauber aus nicht zu sehen war. Dann brauchte er nur dem Fluß zur Mündung zu folgen und hatte Bittern Shoals greifbar nahe vor sich. Er rannte stöhnend weiter, aber plötzlich schien in seiner Brust etwas nachzugeben. Ein erstickter Schrei zerriß die Morgenluft.
Morley stürzte, rollte auf den Rücken und hatte das Gefühl, die Welt drehe sich langsam um ihn, während er nach den leise rauschenden Blättern griff. Weit hinter ihm verschwammen die Gestalten der beiden Sanitäter in einem roten Nebel.
Er blieb ausgestreckt liegen, raffte sich aber dann wieder auf und hastete weiter. Um ihn herum schien es nur Licht und Schatten zu geben, während er vorwärts taumelte. Und dann roch es plötzlich durchdringend nach Salzwasser und Tang. Vor ihm brachen sich schäumende Wogen an einem unbekannten Strand.
Morley ging langsam über den nassen Sand, der im Mondschein glitzerte. Er hatte gewußt, daß die wirklichen Dinge unverändert sein würden. Und sie hatten sich auch nicht verändert, überhaupt nicht, dachte er, während er beobachtete, wie der weiße Schaum hoch über den Strand flutete, teilweise im Sand versickerte und wieder von der zurückweichenden Welle fortgetragen wurde.
»Lisa?« Er wartete und lauschte dabei angestrengt, aber ihre Stimme ging immer wieder im Wasserrauschen unter, als die Wogen gleichmäßig über den nassen Sand liefen und dort mit sonnengebleichten Muscheln zu spielen schienen. Morley hörte die Stimme nochmals, ließ sich auf die Hände und Knie nieder und kroch weiter ins Wasser hinaus. Schließlich sah er sie dort auf ihn warten, wo der Mond silbern über den Wellen lag, und Muscheln gaben unter seinen Händen nach, von denen sie tief in den weichen Sand gedrückt wurden, bis er endlich Lisas Arme in den schwarzen Gewächsen der hereinströmenden Flut fand.
»Euthanasie«, behauptete Dr. Glenn oft, »ist im Grunde genommen keine Wissenschaft, sondern eine Kunst.« Während seiner Vorlesungen, die er im Gnadentodzentrum vor jungen Internisten hielt, führte er Arthur Morleys Fall mit Vorliebe als bestes Beispiel für ein vollkommen individualisiertes glückliches Ende an.
»Gegenwärtig werden monatlich über hundertfünfzigtausend alte Leute einer Endbehandlung zugeführt«, erläuterte er. »Und jeder einzelne Fall muß den besonderen Gegebenheiten entsprechend behandelt werden, damit der Patient wirklich in den Genuß des bestmöglichen Endes kommt. Selbstverständlich läßt sich bereits durch entsprechend dosierte Drogen, Hypnose, Umgebung, Stimmung, Musik und so weiter eine gewisse Bereitschaft dazu erzeugen. Aber das allein genügt nicht, meine Damen und Herren. Deshalb muß es mit einer vollständigen, hundertprozentig exakten subjektiven Analyse der Wunschträume des Patienten koordiniert und kombiniert werden. Wir müssen so genau wie nur irgend möglich feststellen, welche Hoffnungen und Träume den Patienten vor seinem Ende bewegen – und welche unausgesprochenen Wunschvorstellungen vielleicht noch in seinem Unterbewußtsein latent sind. Das alles ist zu kombinieren und miteinander in Beziehung zu bringen, so daß ein ausgewogenes Ganzes entsteht, dessen unzählige Teile sich harmonisch ergänzen. Sie können sich vielleicht vorstellen, meine Damen und Herren, daß nur wenige Könner unseres Fachs diese Klaviatur der Möglichkeiten instinktiv richtig beherrschen.
Machen Sie sich vor allem mit der Tatsache vertraut, daß es keine zwei Menschen gibt, die das gleiche Ende für glücklich halten. Selbstverständlich gibt es oberflächliche Ähnlichkeiten, aber die Details sind in jedem Fall so grundsätzlich verschieden wie die Menschen selbst. Ihre Aufgabe ist es deshalb, den Patienten in jeder Beziehung eingehend kennenzulernen, damit Sie dafür sorgen können, daß er wirklich so glücklich wie möglich stirbt.
Arthur Morley, dessen Fall ich bereits einmal kurz gestreift habe, ist das beste Beispiel für die richtige Anwendung unseres Verfahrens. Als er einen Herzschlag bekam, während er vor dem Hubschrauber zu fliehen versuchte, waren wir selbstverständlich in der Lage, ihn am Leben zu erhalten, indem wir ein künstliches Herz benutzten. Morley blieb dann über ein Jahr lang in einem hypnothermischen Koma, während wir seinen Fall von allen nur möglichen Seiten untersuchten. Er wurde unter anderem so weit wiederbelebt, daß wir ihn unter Einfluß verschiedener Drogen befragen konnten. Wir haben insgesamt über dreitausend Erlebnis- und
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