Magazine of Fantasy and Science Fiction 21 - Flucht in die Vergangenheit
Doktrinen, Axiome, Gesetze und Prinzipien der Wissenschaft sind dazu da, Ihnen zu helfen, anstatt Sie zu behindern. Sie dienen dazu, Ihnen eine Begründung für Ihre Maßnahmen zu geben. Die meisten sind mehr oder weniger richtig, und das ist ganz nützlich.
Aber denken Sie immer daran: diese Regeln dienen dazu, dem Kunden zu erklären, was Sie getan haben, nachdem Sie es getan haben – nicht etwa vorher. Führen Sie jeden Auftrag so durch, wie Sie es für richtig halten; anschließend können Sie die Tatsachen den Ereignissen anpassen, anstatt es umgekehrt zu machen.
Denken Sie immer daran, daß diese Regeln zur Abschreckung von Leuten dienen, die zu viele Fragen stellen. Aber Sie dürfen sich nicht davon abschrecken lassen. Sie müssen begreifen, daß unsere Arbeit in jedem Fall unerklärlich ist; wir tun sie einfach, und das Ergebnis ist gut oder weniger gut.
Aber Sie dürfen sich nie fragen, weshalb manche Dinge passieren, oder weshalb manche Dinge nicht passieren. Fragen Sie nie danach, und stellen Sie sich auch nicht vor, daß eine Erklärung dafür existieren könnte. Haben Sie das verstanden?
Die beiden Assistenten nickten heftig. Sie schienen erleuchtet zu sein, als hätten sie eine neue Religion gefunden. Carmody hätte wetten können, daß diese eifrigen jungen Männer sich jedes Wort ihres Chefs gemerkt hatten und nun etwas Höheres daraus machen würden – eine Regel.
Flucht in die Vergangenheit
(I Remember Oblivion)
Henry Slesar
Ich erinnere mich an dich, kleine Ente. Vater lacht, während ich auf dem Rasen hinter dir herstolpere. Mutter erscheint lächelnd in der Tür, sie trägt ein Tablett mit Limonade und Keksen, die Kekse sind knusprig und schmecken nach Zimt. Die Sonne ist warm, überall blühen Rosen. Auf Vaters Schoß sitzen und seine große Hand in den Haaren spüren. Mutter singt leise vor sich hin, Bienen summen in den Begonien. In Vaters Armen einschlafen, Mutters kühle Finger liebkosend im Gesicht. Kleine Ente, kleine Ente, ich erinnere mich ...
»Unserer Überzeugung nach bedeutet diese Methode einen großen Schritt vorwärts auf dem mühsamen Weg von der Barbarei zur Zivilisation«, erklärte Dr. Newkirk. »Der Mensch hat den Vorschriften des Alten Testaments, in denen noch Auge für Auge gefordert wurde, schon vor Jahrhunderten abgeschworen, aber seine Strafgesetze beruhten weiterhin auf diesem überholten Racheprinzip.«
»Ah«, sagte Dr. Kidder. Die Asche seiner Zigarette war immer länger geworden, bis ihm auffiel, daß auf Dr. Newkirks Schreibtisch kein Aschenbecher stand. Er ließ die Asche verlegen in seine Handfläche fallen und steckte die Hand in die Tasche. Newkirk merkte nichts davon. Newkirk war kein guter Beobachter. Kidder stellte fest, daß ihm der Mensch Newkirk unsympathisch war, obwohl er den Autor Newkirk bewunderte, der regelmäßig Beiträge im Journal of Psychiatry veröffentlichte. Kidder wünschte sich nun, er hätte Newkirk weniger begeistert geschrieben und wäre nie eingeladen worden, Newkirks Klinik zur Rehabilitation Straffälliger zu besichtigen.
»Die Abschaffung der Todesstrafe«, fuhr Newkirk fort, als halte er eine Vorlesung, »kennzeichnet nur den Beginn unseres geistigen und sozialen Reifeprozesses. Solange der Mensch zu Vergeltungsmaßnahmen irgendwelcher Art griff, um Gesetzesbrecher zu strafen, durfte er sich nicht als zivilisiert bezeichnen. Die Wahl der Methode spielt dabei keine entscheidende Rolle, denn die Gefängniszelle ist ebenso unmoralisch wie das Richtschwert.«
»Richtig, richtig«, murmelte Kidder fast unhörbar. Da er sich entschlossen hatte, Newkirk unsympathisch zu finden, war es schmerzlich, ihm zustimmen zu müssen.
»Als wir die Kriminalität nicht als Krankheit erkannten, versagten wir als Wissenschaftler. Als wir Straffälligen nicht vergeben wollten, versagten wir als Christen. Aber im Laufe der Zeit erkannten wir, daß es notwendig war, diese primitiven Rachegefühle zu überwinden.« Newkirk rieb sich sein kräftiges Kinn. Er war ein häßlicher Mann, aber er hatte freundliche Augen. Warum mochte Kidder seine freundlichen Augen nicht?
»Wir suchten nach Entschuldigungen für unser Versagen«, sprach Newkirk weiter. »Wir behaupteten, die Insassen von Gefängnissen und Zuchthäusern sollten nicht bestraft, sondern gebessert werden. Wir beruhigten unser Gewissen mit zwecklosen Versuchen, eine psychiatrische Rehabilitation innerhalb der Gefängnismauern zu erreichen. Diese Versuche blieben
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