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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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Verschwinden.
    Früher hab ich mir in den Laurentius-Nächten oft Kinder gewünscht, und als ich ein Kind hatte, noch eines. Selbst in den Wechseljahren noch und weit darüber hinaus hörte es nicht auf. Ein Kind! Hört ihr, ihr Sterne da oben? Ein Kind! Seltsam, dass mir nie ein Enkel in den Sinn gekommen ist. Selbst in aller Heimlichkeit habe ich nicht gewagt, mir die Sehnsucht einzugestehen, Lukas möge Vater werden.
    Für die nächsten Tage haben sie Gewitteralarm ausgegeben. Ich zittere vor jedem Gewitter, schon im Vorfeld schlägt mein Herz wüste Kapriolen. «Wieso regst du dich so auf, Magdalena?», schimpft Konrad. «Wir haben drei Blitzableiter.» Sobald das leiseste Donnergrollen zu vernehmen ist, horche ich in die Landschaft. Manchmal meine ich die fetten, schwarzen Wolken noch zu sehen, wenigstens, dass plötzlich die Sonne Reißaus nimmt. Aus welcher Richtung bläst der Wind? Wenn das Ganze in die Rheinebene rauszieht, wird es nicht so schlimm. Unser alter Goldparmänenbaum ist wie eine Wetterstation. Kommt das Gewitter von unten, an den Weinbergen entlang, und sitzt in der Mitte vom Apfelbaum und ruht sich dann dort ein wenig aus, geht es mit Sicherheit nach Basel rüber. Gefährlich wird es, wenn es kurz hinter dem Baum abbiegt ins Seitental, dann stößt es am Berg an, am Blauen, und fällt wieder zurück, und wieder hin und zurück, ein paar Mal. Am Himmel, der jetzt ganz tief hängt, wechseln die Farben, ich erinnere mich gut daran. Gelb wird er in dieser Phase, im schlimmsten Fall grün. Man merkt die Dramatik auch am Donner, starke, sehr flache Schläge. Das alles führt zur gründlichen Entwässerung meines Leibes, ich muss aufs Klo. Derselbe Mechanismus wie im Krieg, das Gehirn schaltet sich ab, und in den inneren Organen explodiert die Angst.
    Der August bringt oft unerwartet Gäste. Plötzlich haben die Leute Zeit, und dann fällt ihnen unser Garten ein, sie selbst haben meistens keinen oder keinen so großen. Unterm Apfelbaum wird bis spät in die Nacht gelacht. «Jetzt ist der Sommer vorbei.» Konrad ist immer der Erste, der es verkündet. Mitten in die Bruthitze hinein sagt er diesen Satz, während alles reift und die Äpfel in die Suppenschüssel fallen.
    In diesem Sommer wollte er unbedingt nochmal Hasenkinder. Der erste Wurf vom April war klein, vier waren es nur. Also hat er nochmal den Bock vom Nachbarn zur Häsin gelassen, jetzt hat er sieben kleine «Mockies». Lukas hat ihnen diesen Namen gegeben, «Mockele» sagt man im Alemannischen zärtlich für Kinder. Zu seinem ersten «Mock» kam Konrad über Lukas, mit fünf Jahren kriegte er von einem Spielkameraden eine Häsin geschenkt. Es hat keine Woche gedauert, und es war Konrads Stallhase. Er ist ein Tiermensch, er braucht irgendein Viech zum Streicheln, zum Sorgen. Eine Katze wäre ihm am liebsten, in den ersten Jahren unserer Ehe wollte er unbedingt eine rotgetigerte Katze. Aber das wäre nicht vernünftig gewesen, ich sehe sie nicht und höre sie auch nicht, Katzen sind so leise, ich könnte über sie fallen.

[zur Inhaltsübersicht]
    Der Lichtfänger
    Konrad, der Fels.
    Möglicherweise hat er es schon vor mir bemerkt, mit aufmerksamen Vateraugen etwas gesehen, was auf die Blindheit unseres Sohnes hindeutete. Seinerzeit, im März 1963, habe ich ihn nicht danach gefragt, und auch jetzt würde ich ihn nicht fragen.
    Wann, wie, warum? Für ihn war und ist da nichts zu reden. Wohin wird das führen? Hat es einen verborgenen Sinn? Solche Fragen sind nichts für Konrad. Das, was eingetreten ist, ist eben Teil unseres Ehebundes, der Teil, über den wir am längsten beraten haben: Wir werden das blinde Kind gemeinsam tragen.
    Nachdem Konrad diesen einfachen klaren Satz gesagt hatte, haben wir nicht weitergesprochen, nicht über Lukas, nicht über mich, nicht über ihn. Und auch nicht über Gott – wenn, wären wir uns vielleicht in die Haare geraten. Konrad würde gegen Gott, was immer er tut, was er zulässt, niemals rebellieren. Ich schon. In dieser Nacht damals haben wir beide nur beisammengesessen, sonst nichts.
    Beim Stillen kamen mir jetzt oft die Tränen. Sobald Lukas an meiner Brust lag, schob ich ihm, bevor er die Brustwarze richtig schnappen konnte, schnell ein Fläschchen in den Mund. Er sollte die Traurigkeit nicht mit der Muttermilch einsaugen. Die Milch, von der ich anfangs überreichlich hatte, versiegte jetzt bald. «Nicht so schlimm, Frau Weingartner», tröstete die Hebamme.
    Wie versorgt eine blinde oder nahezu blinde

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