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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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Mutter ein blindes oder nahezu blindes Kind?
    Noch war nicht klar, wie groß das bisschen Sehkraft war, das Lukas hatte. Im Wesentlichen war es wie bei mir, würde sich im Laufe des Jahres herausstellen. Und ebendas war auch ein Vorteil, denn ich wusste besser als jeder andere, was er sah und was nicht.
    Vieles geschah instinktiv. Beim Füttern hab ich seinen Mund gefunden – er kam dem Duft des Breis entgegen, und ich lauschte, woher das «Mmmmh» kam, ging mit dem Löffel in Richtung des kleinen gierig-wohligen Geräuschs. Mit den Händen konnte ich den Milchschorf gut spüren, die Krusten auf dem Köpfle zu verarzten war kein Problem. Einen roten Popo auch nicht, beim Berühren der wunden Stellen schrie Lukas zuverlässig, dadurch wusste ich, wo sie waren. Zur Sicherheit habe ich nach dem Reinigungszeremoniell ganz zuletzt eine saubere Windel zwischen den Pobacken durchgezogen und diese unters linke Auge gehalten, geprüft, ob da noch ein bissle Braun war.
    Alles ganz langsam natürlich, und die Dinge mussten strategisch vorbereitet sein. Beim Baden des Kleinen brauchte ich einen Stuhl in Reichweite, auf dem alles parat lag – auf der Lehne das Handtuch, auf dem Sitz Waschlappen und Seife und dazu, um Lukas, der gerne zappelte, zu beruhigen, ein «Riechtgut». Ein Kräutersäckchen oder einfach ein frisches Wäschestück mal kurz unter die Nase gehalten, wirkte Wunder. Ohren vorsichtig trocknen, tastend das Schmalz entfernen, das ging. Bloß an seine Äugle traute ich mich nicht heran, die «Schloofliesle» musste Konrad auswischen. Wir haben uns ihn nach dem Baden immer gezeigt. «Guckemol, wie sieht er aus?» Konrad und ich lernten Hand in Hand. Die ganz, ganz feinen Dinge jedoch konnten weder er noch ich, zum Beispiel Nägel schneiden. Deswegen hab ich Lukas die Fingernägel abgeknabbert.
    Die körperliche Nähe zu Lukas war wunderschön. «Kälblebeziehung» hab ich immer gesagt, wie Mutterkuh und Kalb, nur geleckt hab ich ihn nicht. Nicht nur aus praktischen Gründen hab ich Lukas mehr berührt als andere Mütter ihre Babys. Ich wollte ihm geben, was mir in meiner Kindheit gefehlt hat. Geborgen sollte er sein. Nachts, wenn der Wind ums Haus heulte, holte ich ihn in unser Bett. Bei Gewitter ließ ich ihn nicht aus meinen Armen, die Unwetter waren oft gewaltig im Schwarzwald, ich selbst hatte schreckliche Angst davor. «Du schleppscht ne rum wie de Katz des Jung», sagte mal eine Bäuerin verwundert.
    Bei fremden Leuten wurde Lukas schnell unruhig. Auf den Höfen mit ihrem Hundegebell und den plötzlich auftauchenden Geräuschen besonders. Ein lautes Muh, eine Säge, ein schlagendes Gatter, alles erschreckte ihn. Anfangs war das auch bei Galina Lindle so, die wir in diesem Sommer öfter besuchten. Dann wiegte ich ihn, bis er zu erkennen gab, dass er sich sicher fühlte, oder ich klemmte ihn, als er größer wurde, zwischen meine Beine und legte meine Hände schützend auf seinen Kopf.
    Bei Galina kriegte er immer gleich etwas in die Hand, ein hölzernes Pferdle, ein Stückle Stoff mit Lavendelöl getränkt. Lukas fühlte sich bald wohl bei Galina, sie entpuppte sich als eine ausgesprochene Kindernärrin. Er reagierte stark auf ihre Stimme, erwiderte das russische «R» mit kleinen Rachenlauten.
    «Krocha.»
    «Rrrrrch», machte er.
    «Karapuzik», Wonneproppen nannte sie ihn oft.
    «Rrrrrapp.»
    Die große Attraktion für Lukas war die dicke Kerze. Zu jeder Tages- und Jahreszeit brannte sie auf dem Esstisch, ihr sanftes, flackerndes Leuchten zog ihn magisch an. In späteren Jahren durfte er sie zum Abschied ausblasen, er war glückselig darüber, daran erinnert er sich bis heute.
    «Das ist eine Kerze, Lukas.» Alle Dinge hab ich ihm erklärt, seit den ersten Lebensmonaten schon.
    «Svjet.» Auf Russisch sollte er es auch hören. Galina spielte mit.
    «Jetzt nehmen wir die Holzente und setzen sie auf den Boden.»
    «Utka, utka», lachte Galina.
    Es ging mir nicht ums Verstehen, dazu war er noch viel zu klein. So ganz genau wusste ich auch nicht, warum ich immerzu mit ihm sprach. Von Psychologie wusste man damals wenig. Hätte ich solche Bücher gelesen, wie sie heute überall grassieren, in denen nachgewiesen wird, dass der Augenkontakt zwischen Mutter und Kind für die gesunde Entwicklung unerlässlich ist, hätte mich dies wohl entmutigt. Ich habe nur das sichere Gefühl gehabt, etwas Fehlendes ausgleichen zu müssen. Lukas sollte sich möglichst früh an die Welt der Wörter gewöhnen, an das reiche

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