Magermilch
Bandschlinge sitzt.
Hannes nahm nun ein Ende seines vierzig Meter langen, ordentlich aufgerollten Bergseils und befestigte es mit einem Knoten, den Bergsteiger »Achter« nennen, im Karabiner. Dann ließ er den Rest des Seils den Hang hinunterkullern.
Rudolf stand unten bereit, um das andere Ende aufzufangen. Er musste dazu etwas nach links gehen, weil es ein ganzes Stück weit versetzt ankam.
Er packte das Seilende und zog es wieder so weit nach rechts, dass es vom Standplatz aus senkrecht nach unten verlief. Dann band er es zu einer Schlaufe und legte sie um ein kleines Felsköpfchen.
Hannes und Rudolf konnten mit ihrem Werk zufrieden sein, fand Fanni. Das Seil spannte sich vom Karabiner oben akkurat und sauber bis hinunter zum Felskopf am Fuß des Hanges.
Sie blieb neben Hannes bei den Eisschrauben stehen und schaute ihm zu, wie er ein letztes Mal überprüfte, ob der Karabiner, der Fixseil und Bandschlinge zusammenhielt, auch wirklich fest zugeschraubt war. Fritz war ebenfalls herangetreten und studierte die Sicherungsverankerung.
»Diese, ähm, Konstruktion wird einiges an Belastung aushalten müssen«, meinte er.
»Das tut sie«, antwortete Fanni. »Und selbst wenn nicht, kann ja nicht viel passieren.« Sie deutete talwärts auf die fast ebene Fläche, in die der Hang auslief.
Fritz sah hinunter, dann wieder hinauf. Er schaute skeptisch nach links, dann nach rechts.
Fanni beobachtete ihn und verkniff sich ein Lächeln. Als wolle er diesen Abhang für den Wegebau vermessen, dachte sie.
»Wer hier oben ins Rutschen kommt und nirgends Halt findet, driftet dort hinüber«, sagte Fritz plötzlich, »weil sich nämlich der Hang nicht nur talwärts, sondern auch ein wenig nach Osten neigt.«
»Papperlapapp«, ließ sich Hannes vernehmen.
»Möglich«, gab Fanni zu. »Kann schon sein, dass die Falllinie etwas abweicht. Aber weit bestimmt nicht.«
Fritz starrte stirnrunzelnd auf die scharfe Kante, die einen schroffen Abbruch an der Ostseite des Hanges markierte.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Fanni. »Das Fixseil hält, und deine Prusikschlinge fängt dich ganz schnell auf.«
»Na dann«, rief Hannes. »Wer macht den Anfang? Wer macht vor, wie’s geht?«
Martha und Elvira, die ein paar Schritte weiter weg gestanden und sich unterhalten hatten, kamen heran. Fritz und Fanni entfernten sich ein paar Meter vom Standplatz und traten zu Leni.
Hannes nickte seiner Frau zu und deutete auf eine kleine Mulde etwa einen Meter unterhalb des Sicherungskarabiners. Elvira stieg hinein. Sie stützte sich dabei auf ihren Pickel und versuchte, die Zacken ihrer Steigeisen tief in den glatten Untergrund zu treiben, denn Hannes hatte für die Übung den steilsten und vereistesten Abschnitt des Hanges gewählt.
Als Elvira ihre Position für stabil genug befand, bückte sie sich und band ihre Prusikschlinge um das Fixseil. Hannes ließ es sich nicht nehmen, den Prusikknoten am Seil hin- und herzuschieben, um zu testen, ob er einwandfrei funktionierte.
»Der Knoten muss locker am Seil entlangwandern, sich bei ruckartiger Belastung aber sofort zusammenziehen und den Absturz stoppen«, erklärte er mit erhobener Stimme.
Daraufhin kommandierte er: »Auf geht’s!«
Elvira machte ein paar schnelle Schritte, dann ließ sie sich hinfallen.
»Und schleunigst auf den Bauch drehen«, rief ihr Hannes zu. »Und die Eisen weg vom Boden! Und den Pickel reinhauen!«
Elvira rutschte höchstens zwei Meter weit hinunter. Bevor sie die Pickelhaue ins Eis schlagen konnte, um ihr Abgleiten zu bremsen, hatten Prusikknoten, Fixseil und die Standplatzsicherung ihren Zweck bereits erfüllt.
Elvira hing fest.
Sie senkte die Beine, die sie in den Knien angewinkelt nach oben gestreckt hatte, und bohrte die Frontalzacken der Steigeisen ins Eis. Dann hieb sie die Pickelhaue hinein. Sie brauchte drei Anläufe, bis der Pickel so weit festsaß, dass sie ihn als Griff benutzen konnte, um aufzustehen.
Daraufhin stapfte Elvira zwei Schritte aufwärts, sodass sich auf den Prusikknoten kein Zug mehr auswirkte und er sich wieder lockerte. Schließlich ging sie, den Knoten mit sich schiebend, langsam am Seil entlang hinunter.
»Das ist die ganze Kunst«, ließ sich Hannes hören. »Der Nächste, bitte!«
Während Martha das Gehen am Fixseil absolvierte, wobei auch sie sich hinfallen ließ, wegrutschte, gestoppt wurde, aufstand und dann weiter nach unten stiefelte, hatte sich auch Hannes vom Standplatz wegbewegt. Er erklärte nun Leni, warum es so
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