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Magermilch

Magermilch

Titel: Magermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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immens wichtig war, bei einem Sturz die Steigeisen vom Untergrund fernzuhalten.
    »Die Zacken graben und verkanten, haken sich fest, rutschen aber dann doch weiter, haken sich wieder fest und immer so fort. Die Folge ist, dass du dich überschlägst, kugelst und purzelst wie ein eckiges Holztrumm und nichts dagegen machen kannst.«
    Leni nickte verständig. »Ich geh als Letzte«, sagte sie, »dann kann ich mir noch ein paarmal ansehen, wie’s geht.
    Inzwischen war auch Gunda schon unten angelangt.
    Toni kniete am Standplatz und fummelte eine Ewigkeit am Seil herum.
    »Hast du vergessen, wie der Prusikknoten geht?«, rief ihm Hannes zu.
    Toni winkte sichtlich genervt ab. Endlich richtete er sich auf und lief los.
    »Und jetzt Fanni!«, ordnete Hannes an.
    Sie wollte eben einen Schritt auf den Standplatz zumachen, da hörte sie einen Laut vom Fuß des Hanges. Sie drehte sich talwärts und blickte hinunter.
    Rudolf rief etwas, das der Bergwind in ein Jaulen verwandelte. Sie tippte auf ihr rechtes Ohr, um ihm klarzumachen, dass sie ihn nicht verstanden hatte.
    Rudolf deutete daraufhin zuerst auf Elvira, dann auf Martha und dann auf die Hütte.
    Die beiden wollten also nicht warten, bis alle am Fixseil geprobt hatten und der Standplatz abgebaut war, sondern jetzt gleich zur Hütte zurückkehren.
    Gut, warum nicht? Fanni winkte ihnen zu.
    Als sie sich wieder umwandte, hatte Fritz seine Übung bereits beendet. Er war jedoch nicht bis zum Ende der Seilsicherung weitergegangen, sondern hatte seine Prusikschlinge bereits früher vom Seil gelöst – ein paar Meter oberhalb von Rudolfs Standort, dort wo die Steilheit des Hanges schon beträchtlich abnahm. An dieser Stelle befand er sich nun und schaute nach oben.
    Fanni hatte ihre Prusikschlinge aus der Hosentasche geangelt und wollte soeben in die Mulde steigen, da sah sie, dass ihr Leni gefolgt war.
    Wenn Leni vor mir geht, dachte Fanni, dann kann ich aufpassen, dass sie den Knoten richtig bindet, kann intervenieren, falls sie die Prusikschlinge nicht richtig anlegt.
    Als ob dein Kind das Schleiferl nicht mit links hinkriegen würde!
    Fanni deutete auf die Startmulde, die bereits die Abdrücke etlicher Paar Steigeisen aufwies. »Nach Ihnen, meine Liebe.«
    Leni kicherte und brachte sich in Position.
    Fanni wachte mit Argusaugen, doch Leni schlang den Knoten souverän. Sie stieß sich ab, ließ sich fallen, rutschte und rutschte.
    Leni rutschte immer schneller.
    Fannis Blick hetzte zur Prusikschlinge und weiter zum Prusikknoten. Der bewegte sich nicht, saß aber so locker am Seil, als stünde Leni daneben. Die Schlinge verband ihn mit der Schlaufe an Lenis Hüftgurt.
    Warum zum Henker zog sich der Knoten nicht straff? Warum hing er da wie abgeschnitten?
    »Verdammt, das gibt’s doch nicht!«, rief Hannes.
    Erst durch seinen Schrei wurde Fanni auf das Fixseil aufmerksam, das – aus seiner Verankerung gerissen – lose hinter Leni herschlingerte. Der Karabiner, der das Seilende mit der Bandschlinge an den Eisschrauben verbunden hatte, baumelte daran, hüpfte übermütig auf und ab.
    »Pickel!«, schrie Hannes. »Verdammt noch mal, hau deinen Pickel rein.«
    Leni hatte sich vorschriftsmäßig in Bauchlage gebracht und die Steigeisen in die Luft gereckt. Sie versuchte, die Pickelhaue ins Eis zu treiben, doch die schrammte nur darüber hinweg.
    Leni rutschte schneller und schneller, und jeder konnte erkennen, wohin. Wie Fritz vermutet hatte, driftete sie aufgrund der schrägen Hangneigung nach Osten ab.
    Leni hielt direkt auf den Abbruch zu.
    Fanni stand schreckensstarr.
    »Den Pickel, verdammt!«, schrie Hannes. »Hau ihn rein! Hau ihn rein!«
    Leni versucht es immer wieder. Schnee und Eisbröckchen spritzten weg, der Pickel schrammte weiter, schrammte und schrammte.
    Sein Reibungswiderstand vermochte jedoch das Tempo, in dem es Leni schräg abwärts trieb, ein wenig zu bremsen.
    »Leni«, flüsterte Fanni. »Leni!« Sie wollte loslaufen, ihre Tochter einholen, sie aufhalten, sie davor bewahren, über die Kante zu stürzen.
    Hannes packte Fanni und hielt sie zurück. »Du kannst sie nicht einholen«, sagte er heiser. »Wenn du anfängst, hier zu rennen, stolperst du nach dem zweiten Schritt. Dann geht’s auch mit dir dahin, und damit hilfst du Leni nicht.«
    Leni rutschte nun etwas langsamer, aber dennoch unaufhaltsam auf den Abbruch zu.
    Fanni versuchte vergeblich, Hannes’ zupackende Hände abzuschütteln. Plötzlich sah sie Fritz Maurer neben Leni auftauchen. Er bekam sie

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