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Magermilch

Magermilch

Titel: Magermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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am Anorak zu fassen, hielt sie fest. Einen halben Meter glitt sie noch weiter, dann lag Leni still.
    Sofort senkte sie die Steigeisen aufs Eis und grub die Zacken hinein. Als Fanni herankam, stand sie bereits wieder auf den Beinen. Sie winkte ab.
    »Nichts ist passiert, Mami, gar nichts, wirklich nicht.«
    Fanni sah ihre Tochter an, dann blickte sie in den Abgrund, der sich vor ihr auftat, und dann fiel sie auf die Knie.

10

    Die Wellen schlugen hoch, nachdem sich alle im Gastraum der Hütte um einen großen Ecktisch versammelt hatten.
    Hannes trug das eilig aufgerollte Seil noch immer über der Schulter. »Das war keine Pfuscharbeit!«, schrie er so laut, dass die Gäste an den Tischen hinter der Balustrade, die den Ecktisch von der Gaststube abgrenzte, die Köpfe reckten. »Die Bandschlinge war ordentlich im Karabiner eingehakt, und den habe ich fest zugeschraubt. Fanni, das hast du doch selber gesehen.«
    Fanni nickte matt.
    »DER KARABINER KONNTE SICH NICHT LÖSEN!«, sagte Hannes beschwörend.
    »Hat er aber«, gab Elvira trocken zurück.
    »Hat er«, stimmte ihr Rudolf zu. »Wenn wir also nicht glauben wollen, dass dieser Karabiner urplötzlich zum Leben erwacht ist und sich eigenhändig von der Bandschlinge befreit hat, müssen wir davon ausgehen, dass sich jemand daran zu schaffen gemacht hat.«
    »Du spinnst ja«, rief Hannes.
    Die anderen sahen sich mit bestürzten Mienen an.
    »Quatsch«, sagte Elvira plötzlich. »Angenommen, jemand hätte den Karabiner ausgehängt, dann hätte der ja kein bisschen Halt mehr gehabt. Er wäre mitsamt seinem Seilende auf der Stelle den Hang hinuntergesegelt.«
    Martha stimmte ihr zu. Nach einer Weile auch Rudolf.
    »Genau!«, schrie Hannes.
    Dann war es still. Lange.
    »Ein Saboteur würde es wohl auf diese Weise gemacht haben«, sagte Rudolf plötzlich.
    Niemand hatte darauf geachtet, dass er eine Bandschlinge und einen Karabiner, so wie es bei der Sicherungsverankerung geschehen war, auf dem Tisch zu einem ungleichseitigen Dreieck angeordnet und verbunden hatte. Als Behelf hatte er den Salz- und den Pfefferstreuer verwendet. Die Bandschlinge führte über Pfeffer- und Salzstreuer zu dem Karabiner, der in dem kurzen Abschnitt eingehängt war und mit jenen Ersatzeisschrauben das vorschriftsmäßige Dreieck bildete.
    Rudolf nahm nun das Seilende, das von Hannes’ Schulter hing, band es mit einem Achter in den Karabiner und schraubte ihn zu. »So hat er ausgesehen, dein Standplatz«, wandte er sich an Hannes.
    Der nickte finster.
    Rudolf schraubte den Karabiner wieder auf, angelte die Bandschlinge heraus und ließ ihn zuschnappen.
    »Und jetzt schaut mal her«, verlangte er, nahm den geschlossenen Karabiner und führte ihn samt seinem Seilstück durch das Schlingenende, sodass er an einer Seite herunterbaumelte.
    »Seht ihr«, sagte er dabei, »die Bandschlinge ist nicht – wie es sich gehört – im zugeschraubten Karabiner eingehängt, sondern das Seilende mit dem Karabiner dran ist lose durch sie durchgezogen. Sein Gewicht verhindert, dass er herausschlüpft. Was aber wird passieren, wenn man an dem Seil zieht, an dem er hängt?«
    Rudolf umfasste mit beiden Händen das Stück Seil, das vom Tisch zu Hannes führte, und zog daran. Der Karabiner schnellte aus der Bandschlinge und fiel zu Boden.
    Die anderen starrten auf seine Demonstration.
    »Bis zum ersten kräftigen Ruck wäre der Karabiner in der Bandschlinge hängen geblieben. Er wäre nicht weggerutscht – den Hang hinunter«, murmelte Martha.
    »Wer sollte denn so was Verrücktes tun?«, brüllte Hannes.
    Daraufhin wurde es wieder still.
    »Interessante Vorführung, aber wenig aufschlussreich«, sagte Toni nach einiger Zeit. »Die Manipulation an der Sicherung hätte ja im selben Moment, in dem sich Leni ans Seil hängte, vorgenommen werden müssen. Bei Lenis Vordermann – Fritz war das, glaube ich – hielt der Karabiner ja noch.«
    »Genau«, meldete sich Gunda zu Wort, »das wäre uns doch aufgefallen, wenn sich jemand am Standplatz zu schaffen gemacht hätte, als Leni dran war.«
    »Toni hat doch ewig da rumgefummelt!«, bellte Hannes.
    Toni erschrak sichtlich. »Ich … ich musste extra die Handschuhe ausziehen, um den Knoten binden zu können, weil ich Fäustlinge anhatte. Der eine ist mir dann irgendwie unters linke Steigeisen gerutscht, und es hat eine Weile gedauert, bis ich ihn wieder freibekommen habe.«
    Hannes sah ihn spöttisch an, wollte etwas sagen, aber Rudolf kam ihm zuvor. »Nach Toni war Fritz

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