Maggie O´Dell 01 - Das Boese
wieder glatt und berührte ihn fast. Er wich zurück und sah zu, wie sie sich die ungebärdige Strähne hinters Ohr schob. Heute Morgen trug sie ein burgunderrotes Jackett mit passender Hose. Die Farbe ließ ihre Haut besonders weich erscheinen.
Die Fliegendrahttür knarrte in den alten Angeln, als ein Unbekannter sie aufschob, um die beiden Besucher zu begutachten. „Wer sind Sie?“ fragte er argwöhnisch und nicht gerade um Höflichkeit bemüht, während er sie musterte.
„Ist schon okay.“ Hai Langston tauchte hinter ihm auf und schob ihn sacht beiseite. Hai zog die Fliegendrahttür weiter auf. Der Mann warf ihm nur einen Blick zu und ging zurück. Hai konnte sehr beeindruckend wirken. Er hatte mit Nick in der High School Football gespielt. Und obwohl er etwas Fett angesetzt hatte, war er immer noch in bester Verfassung.
„Das Eheleben“ , erklärte er schlicht, wenn Nick ihn wegen seiner zusätzlichen Pfunde aufzog. „Du solltest es mal probieren, mein Freund“ , fügte er dann hinzu. Zu seiner Ehre musste gesagt werden, dass er eine der besten Partien der Stadt gemacht hatte.
Tess Langston war vor zehn Jahren nach Platte City gezogen, um an der High School Geschichte zu unterrichten. Da sie ebenso klug wie hübsch war, hatte sich keiner der sie anhimmelnden Junggesellen an sie heran getraut, mit Ausnahme von Hai. Fast drei Wochen lang hatte er Nick, der damals an der Ostküste Jura studierte, jeden Abend hilfesuchend angerufen und seine Telefonrechnung in astronomische Höhen getrieben. Zwischen Schadenersatzklage und Vertragsbruch hatte Nick ihm geholfen, seinen nächsten Schritt in der Eroberung zu planen.
Er schrieb kleine Gedichte, empfahl, welche Blumen er schenken sollte - Gänseblümchen, keine Rosen -, und riet ihm, wann und wo er sie wie berühren sollte: ein leichtes Knabbern am Ohrläppchen bei der Umarmung, kein Grapschen an die Brust. Es war ihm so vorgekommen, als mache er selbst Tess den Hof. Und als Hals Anrufe aufhörten, fehlten sie ihm. Erst später wurde ihm klar, dass ihm nicht der Kumpel fehlte, sondern die Frau, der er nur einmal begegnet war, die er aber durch seinen Freund so genau kannte, dass er sich selbst in sie verliebt hatte.
Hai und Tess hatten nach sechs Monaten geheiratet, und selbst heute noch empfand er eine Nähe zu Tess, die er nicht recht erklären konnte. Nick wusste nicht, ob Hai ihr jemals das Geheimnis seiner Brautwerbung anvertraut hatte, doch manchmal sah Tess ihn an, als wisse sie Bescheid und sei ihm dankbar.
Im Wohnzimmer der Tanners drängten sich seine Deputys und fremde Polizisten. Einige tranken Kaffee, während andere sich über Karten und Notizen beugten. Nick sah sich nach Michelle Tanner um, nicht sicher, ob er sie wiedererkannte. Gestern Nacht hatte sie in ihrem rosa Chenille-Bademantel, den vom Weinen roten Augen und dem fleckigen Gesicht wie betrunken und desorientiert gewirkt. Ihr rotes Haar hatte sich teilweise aus dem Knoten gelöst und sich wie kleine Schlangen um ihren Kopf geringelt. Mit schwingenden Armen hin und her gehend, hatte ihr kleiner Körper völlig verkrampft gewirkt.
Die Küche war noch voller.
„Wer zum Henker sind all diese Leute, Hai?“ Nick drehte sich um und stieß mit Hai zusammen, der dicht hinter ihm ging. Maggie O‘Dell war zu Phillip Van Dorn gewandert und hatte ihn bereits dazu gebracht, ihr alle Geheimnisse der technischen Uberwachungseinrichtungen zu offenbaren.
„Das war Mrs. Tanners Idee“ , erklärte Hai leise. „Sie hat ein paar Nachbarn angerufen, ihre Mutter und die Eltern der Mannschaftskameraden ihres Sohnes.“
„Mein Gott, Hai, wir haben das ganze verdammte Fußballteam hier!“
„Nur ein paar Eltern.“
Nick bahnte sich mit dem Ellbogen einen Weg durch die Menge und begann die Leute regelrecht beiseite zu schieben, als er die Frau erkannte, die mit Michelle Tanner am Tisch Kaffee trank.
„Was zum Teufel tust du denn hier?“ bellte er, und es wurde still im Raum.
21. KAPITEL
Ehe Christine antworten konnte, drängte sich ihr Bruder durch die Menge, verschüttete Emily Fultons Kaffee und stieß Paul Calloway fast zu Boden. Alle starrten ihn an, als er mit dem Finger auf sie zeigte und zu Michelle Tanner sagte: „Mrs. Tanner, ist Ihnen klar, dass diese Frau eine Reporterin ist?“
Michelle Tanner war eine zierliche Frau und so schlank, dass sie zerbrechlich wirkte. Sie war, wie Christine bereits bemerkt hatte, leicht einzuschüchtern. Demgemäß wurde ihr kleines Gesicht blass, und
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