Maggie O´Dell 01 - Das Boese
genützt. Er war immer noch sauer, weil sie ihm aus seiner Sicht den Hochzeitstag verdorben hatte, und trug seinen Groll vor sich her wie ein siegreich erobertes Banner. Wie waren sie bloß an diesen Punkt gelangt?
Timmy nahm sie wieder bei der Hand und führte sie an die Kommode. Er deutete auf die leere Schale einer Hufeisenkrabbe.
„Mein Grandpa hat mir das aus Florida mitgebracht. Er und Grandma reisen viel. Sie dürfen es anfassen, wenn Sie möchten.“
Als sie einen Finger über die glatte Schale gleiten ließ, bemerkte sie das Foto dahinter. Etwa zwei Dutzend Jungen standen in gleichen T-Shirts und Shorts in einem Kanu und auf dem Anleger daneben. Sie erkannte den Jungen im Bug des Kanus und beugte sich leicht vor, um sich zu vergewissern. Ihr Puls beschleunigte sich. Sie nahm das Foto auf, ohne die Krabbe zu berühren. Der Junge war Danny Alverez.
„Was ist das für ein Foto, Timmy?“
„Ach, das ist vom Zeltlager der Kirche. Meine Mom hat mich hingeschickt. Ich dachte, es würde mir die Sommerferien versauen, aber es hat Spaß gemacht.“
„Ist der Junge da nicht Danny Alverez?“ Sie deutete auf ihn, und Timmy sah hin.
„Ja, das ist er.“
„Dann kanntest du ihn also?“
„Nicht richtig. Er war unten in den Rotkehlchenhütten. Ich war bei den Goldammern.“
„Ist er nicht in deine Kirche gegangen?“ Sie betrachtete die anderen Gesichter.
„Nein, ich glaube, er ging auf der Militärbasis zur Schule und zur Kirche. Möchten Sie meine Baseballkartensammlung sehen?“
Maggie wollte mehr über das Zeltlager erfahren. „Wie viele Jungen waren dabei?“
„Ich weiß nicht, ‘ne Menge.“ Er stellte eine Holzkiste aufs Bett und begann Karten herauszunehmen. „Sie kamen aus verschiedenen Kirchengemeinden im ganzen Bezirk.“
„Ist das Zeltlager nur für Jungs ?“
„Nein, es gibt auch ein Mädchencamp, aber das liegt auf der anderen Seite vom See. Irgendwo hier drin habe ich eine von Darryl Strawberry.“ Er suchte in dem Stapel, den er auf dem Bett verteilt hatte.
Auf dem Foto gab es zwei Erwachsene. Einer war Ray Howard, der Küster von St. Margaret. Der andere war ein großer, gut aussehender Mann mit dunklem lockigen Haar und jungenhaftem Gesicht. Er und Howard trugen graue T-Shirts mit dem Schriftzug St. Margaret.
„Timmy, wer ist der Typ da auf dem Foto?“
„Ach, das ist Pater Keller. Der ist echt cool. Ich bin dieses Jahr Messdiener bei ihm. Es darf nicht jeder Messdiener bei ihm sein. Er ist echt wählerisch.“
„Inwiefern?“ Sie achtete darauf, interessiert und nicht etwa besorgt zu klingen.
„Ich weiß nicht. Er will sicher sein, dass sie zuverlässig sind und so. Er behandelt uns besonders und belohnt uns, wenn wir gut waren.“
„Inwiefern behandelt er euch besonders?“
„Diesen Donnerstag und Freitag geht er mit uns zum Camping. Manchmal spielt er mit uns Fußball. Und er tauscht Baseballkarten mit uns. Ich habe mal einen Bob Gibson für einen Joe Di-Maggio getauscht.“
Sie wollte das Foto zurückstellen, als ein weiteres Gesicht ihre Aufmerksamkeit erregte. Diesmal hätte sie den Rahmen fast fallen lassen. Ihr Herz begann zu hämmern. Auf dem Anleger, teils von einem größeren Jungen verdeckt, lugte das kleine, sommersprossige Gesicht von Matthew Tanner hervor.
„Timmy, könnte ich mir das Foto für einige Tage von dir ausleihen? Ich verspreche, ich bringe es zurück.“
„Okay. Tragen Sie eine Waffe?“
„Ja, das tue ich.“ Sie bemühte sich, ruhig zu sprechen. Während sie das Foto aus dem Rahmen löste, bemerkte sie jedoch ein leichtes Zittern der Hände, Folge von zu viel Adrenalin im Blut.
„Tragen Sie jetzt auch eine?“
„Ja, allerdings.“
„Kann ich sie sehen?“
„Timmy“ , unterbrach Christine sie, „es ist Zeit fürs Dinner. Du musst dir die Hände waschen.“ Sie hielt ihm die Tür auf, und als er an ihr vorbeiging, versetzte sie ihm einen Klaps mit dem Küchentuch.
Maggie schob das Foto in ihre Jackentasche, ohne dass Christine es merkte.
31. KAPITEL
Nach dem Dinner bestand Nick darauf, dass er und Timmy den Abwasch machten. Christine war klar, dass er das nur wegen Maggie tat, doch sie nutzte die Großzügigkeit ihres Bruders.
Die beiden Frauen zogen sich in den Wohnraum zurück, wo sie die Gespräche über Football nur gedämpft hörten. Christine stellte Kaffeetassen auf den Glastisch und wünschte, Maggie würde sich entspannt hinsetzen und eine Weile nicht Agentin O‘Dell sein. Während des Essens war sie unruhig
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