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Maggie O´Dell 02 - Das Grauen

Maggie O´Dell 02 - Das Grauen

Titel: Maggie O´Dell 02 - Das Grauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Kava
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war es dann möglich, dass sie für Will Finley, den sie gar nicht kannte, zärtliche Gefühle entwickelte? Er war ein Fremder gewesen, das typische flüchtige Abenteuer. Wieso war es bei ihm anders als bei den vielen Freiern, die sie bedient hatte? Sie konnte sich nichts vormachen, die gemeinsame Nacht mit Will Finley waretwas Besonderes gewesen. Sie wollte das nicht zu etwas Billigem herabwürdigen. Zumal ihre Gefühle für ihn Liebe so nahe kamen, wie sie das vielleicht nie mehr erlebte. Gerade jetzt brauchte sie diese Erinnerung. Also klammerte sie sich daran und dachte an sanfte Lippen, zart streichelnde Hände, an einen harten Körper, an Geflüster, an Intensität, an Wärme.
    Es funktionierte eine Weile und ließ sie Gestank, Verwesung und Schlamm vergessen. Sie glaubte sogar, etwas schlafen zu können. Dann wurde ihr plötzlich bewusst, wie ruhig es war. Sie hielt den Atem an und lauschte. Die Erkenntnis war wie eine Injektion mit Eiswasser. Entsetzen drückte ihr das Herz ab. Sie atmete in kurzen, heftigen Stößen und begann unkontrolliert zu zittern. Die Arme um sich geschlungen, wiegte sie sich vor und zurück.
    „Oh Lieber Gott, nein!“ flüsterte sie immer wieder wie eine Verrückte. Als sie sich zwingen konnte, einen Moment ruhig zu bleiben, lauschte sie erneut, um mehr als ihr lautes Herzklopfen zu hören. Sie strengte sich an und wollte nicht wahrhaben, was nicht mehr zu leugnen war. Es hatte keinen Sinn, die Stille war eindeutig. Rachel war tot.
    Tess rollte sich in der Ecke zusammen und tat, was sie seit der Kindheit nicht getan hatte. Sie weinte herzzerreißend und ließ den jahrelang aufgestauten Kummer heraus, dass sich ihr Körper in hysterischen, unkontrollierbaren Zuckungen schüttelte. Die Schluchzer durchdrangen die dunkle Stille, und sie erkannte sie kaum als eigene Laute. Da sie nicht zu unterdrücken waren, überließ sie sich ganz ihrem Schmerz.

56. KAPITEL
    Maggie sah vom anderen Ende des Tisches zu, als Dr. Holmes die Leiche der Frau in einem präzisen, unter den Brüsten beginnenden Y-Schnitt, öffnete. Obwohl sie in Kittel und Handschuhen bereitstand, hielt sie sich zurück. Sie wartete auf seine Erlaubnis, sich zu beteiligen, und tat dies, sobald er darum bat. Ansonsten bezähmte sie ihre Ungeduld, wenn ihr etwas zu lange dauerte. Sie sagte sich, dass sie dankbar sein musste für sein Entgegenkommen, die Autopsie noch an einem Samstagabend zu machen und nicht bis Montag damit zu warten.
    Er hatte ihr gestattet, bei den Routinearbeiten zu helfen, Temperatur messen, Nägel freikratzen, Körpermaße und Proben von Haaren, Speichel und Körperflüssigkeiten nehmen. Maggie wurde den Gedanken nicht los, dass Hannah erbittert gekämpft hatte. Ihr Körper war mit Blutergüssen übersät. Die an Hüfte und Schenkel deuteten an, dass sie eine Treppe hinuntergestürzt war.
    Während sie Dr. Holmes zusah, rekonstruierte sie anhand der verräterischen Spuren den brutalen Mord Stück für Stück. Hannah hatte gekratzt und gekrallt genau wie Jessica. Nur war es ihr gelungen, ihm Hautstückchen abzureißen. Warum war ihre Tötung nicht rasch und problemlos gewesen? Warum hatte er sie nicht fesseln, vergewaltigen und mit einem Kehlenschnitt töten können wie Jessica und Rita? War er auf so heftige Gegenwehr nicht vorbereitet gewesen?
    Maggie wollte sich die Ärmel hochschieben. Unter der Plastikschürze begann sie zu schwitzen. Herrgott, war das heiß hier! Warum gab es keine bessere Ventilation?
    Die Leichenhalle des County war größer als erwartet, mit schmutzigen grauen Wänden und einem überwältigenden Lysolgeruch in der Luft. Die Tresen bestanden aus mattgelbem Kunststoff,nicht aus Edelstahl. Die Neonröhren hingen so tief über ihren Köpfen, dass sie sie fast berührten, wenn sie gerade standen. Dr. Holmes, nicht viel größer als sie, war offenbar daran gewöhnt, denn er duckte sich in der Nähe der Lampen automatisch.
    Ihre Ausbildung in forensischer Medizin hatte ihr erlaubt, viele Autopsien selbstständig zu machen und bei anderen zu assistieren. Vielleicht lag es an ihrer Erschöpfung oder an dem Stress, den dieser besondere Fall mit sich brachte, jedenfalls hatte sie Schwierigkeiten, sich innerlich von dem Leichnam auf dem Tisch zu distanzieren. In dem fensterlosen Raum drohte sie zu ersticken, obwohl ein verborgener Ventilator die abgestandene Luft verwirbelte. Sie widerstand der Versuchung, sich eine feuchte Haarsträhne wegzuwischen, die ihr an der Stirn klebte. Die

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