Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
Wie konnte Daniel ihr derart den Abend verderben? Sie hatte sich auf die Feier gefreut. Für Daniel waren zehntausend Dollar vielleicht ein Klacks, für sie waren sie ein großer Schritt auf dem langen Weg nach oben. Sie verdiente einen lobenden Klaps auf die Schulter. Sie verdiente eine Feier. Stattdessen bekam sie eine lange einsame Taxifahrt von Washington nach Haus.
„Verzeihen Sie“, sagte sie und beugte sich in dem schal riechenden Wagen zu dem Fahrer vor. „Bringen Sie mich bitte nicht zur genannten Adresse in Newburgh Heights, sondern zu Louies Bar und Grill an der 55sten Ecke Laurel.“
15. KAPITEL
Kansas City, Missouri,
Sonntagabend
Es war fast Mitternacht, als die Agenten Preston Turner und Richard Delaney an Maggies Hotelzimmertür klopften.
„Wie wär’s mit ‘nem Absacker, O’Dell?“
Turner trug Jeans und ein purpurnes Golfhemd, das seine tiefbraune Haut betonte. Delaney hingegen steckte noch in seinem Anzug. Der aufgeknöpfte Hemdkragen und die gelockerte Krawatte zeigten jedoch, dass er nicht mehr im Dienst war.
„Ich weiß nicht, Leute. Es ist schon spät.“ Als ob Schlaf ein Argument wäre. Sie würde ohnehin erst in einigen Stunden zu Bett gehen.
„Es ist noch nicht mal Mitternacht.“ Turner grinste sie an. „Die Party geht erst los. Außerdem bin ich am Verhungern.“ Er sah Delaney auf Bestätigung hoffend an. Der zuckte nur die Achseln. Fünf Jahre älter als Maggie und Turner, hatte Delaney eine Frau und zwei Kinder. Sie vermutete, dass er schon mit zehn Jahren ein konservativer Südstaatengentleman gewesen war, doch Turner kitzelte irgendwie die sorglose und auf Konkurrenz bedachte Seite an ihm heraus.
Beide Männer bemerkten, dass Maggie die Tür mit der Smith & Wesson in der Hand geöffnet hatte, die sie jetzt zu Boden gerichtet hielt. Keiner von beiden kommentierte das jedoch. Maggie kam die Waffe plötzlich besonders schwer vor. Sie fragte sich, warum die beiden Kollegen sie ertrugen. Allerdings wusste sie auch, dass Cunningham sie drei bewusst zusammen zu dieser Tagung geschickt hatte. Seit Stuckys Flucht im Oktober waren die beiden ihre Schatten. Als sie sich bei Cunningham darüber beklagt hatte,war er beleidigt gewesen über die Unterstellung, er habe ihr Wachhunde zugeteilt, damit sie sich nicht allein auf die Suche nach Stucky begab. Erst später war ihr aufgegangen, dass ihr Boss ihr die zwei zum Schutz zugeteilt hatte. Was lächerlich war. Wenn Albert Stucky es auf sie abgesehen hatte, konnte Polizeipräsenz ihn nicht aufhalten.
„Wisst ihr, Jungs, ihr müsst nicht den Babysitter bei mir spielen.“
Turner gab sich gekränkt. „Komm schon, Maggie, du kennst uns besser.“
Ja, allerdings. Trotz ihrer Mission hatten Turner und Delaney sie nie wie ein Burgfräulein in Not behandelt. Sie hatte Jahre dafür gearbeitet, genauso behandelt zu werden wie die männlichen Kollegen. Vielleicht wurmte Cunninghams Sorge, so ehrenwert auch gemeint, sie deshalb so sehr.
„Ach, komm schon, Maggie“, fiel Delaney ein. „Wie ich dich kenne, ist dein Vortrag für morgen bereits fertig.“
Delaney blieb höflich im Flur stehen, während Turner sich an den Türrahmen lehnte, als wolle er dort bleiben, bis sie zugestimmt hatte.
„Ich hole nur meine Jacke.“
Sie schloss die Tür ein wenig, so dass Turner zurückzuweichen musste und sie ungestört ließ. Sie legte ihr Holster um, straffte die Lederriemen über der Schulter und verschnallte sie fest in der Seite. Dann schob sie den Revolver hinein und zog ihren blauen Blazer darüber, um die Waffe zu verbergen.
Turner hatte Recht. In der Bar mit Grill in Westport wimmelte es nur so vor Tagungsteilnehmern. Turner erklärte, Westport, mit seinen malerischen Hinweisen auf die Anfänge der Stadt als Handelsposten, sei Zentrum des Nachtlebens von Kansas City. Woher Turner immer solche Details wusste, hatte sie nie herausgefunden.In jeder Stadt, die sie besuchten, erwies er sich jedoch als Experte im Auffinden der angesagtesten Lokale.
Delaney ging voran, drängte sich durch die Menge an der Bar und fand einen Tisch in einer dunklen Ecke. Als sie sich setzten, bemerkten er und Maggie, dass sie Turner verloren hatten, der sich mit einigen jungen Frauen auf Barhockern unterhielt. Nach den engen Kleidern und den glänzenden Ohrgehängen zu urteilen, waren es wohl keine Polizistinnen, sondern Singles auf der Suche nach Männern mit Polizeimarken.
„Wie schafft er das immer?“ fragte Delaney bewundernd und beobachtete
Weitere Kostenlose Bücher