Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
Ford.“ Sie musste das Ganze scherzhaft angehen und die joviale Stimmung ausnutzen. Ford sollte nicht merken, dass sie sich in seine Zuständigkeiten einmischte. Sie hatte genügend Schwierigkeiten mit Cunningham. „Sie sind auch hergekommen, um sich die Sache noch mal anzusehen, richtig?“
„Okay, Sie haben mich erwischt.“ Er gab sich mit erhobenen Händen geschlagen. „Ich habe Nick von dem Vorfall gestern Abend erzählt.“
Maggie erschrak und fragte sich erneut, worüber genau sie gesprochen hatten. Nick kannte die ganze grässliche Geschichte von ihr und Stucky, und er hatte ihre Albträume hautnah miterlebt. Doch sie gab sich jetzt nüchtern, sachlich, als sei der Mord von gestern Abend eine ganz normaler gewesen. Ob Ford glaubte, sie drehe durch, war ihr relativ egal, was Nick glaubte, war ihr wichtig. Sie wartete, und Ford fügte hinzu:
„O’Dell, Sie haben gestern Abend meine Neugier geweckt.“
„Wie das?“
„Dieses ganze Gerede von Albert Stucky hat mich nervös gemacht.“
Sie sah von Ford zu Nick, um festzustellen, ob man sie ernst nahm. Falls das für Ford nur eine Einleitung war, um ihr mit tröstlichem Schulterklopfen mitzuteilen, dass sie sich irrte, brauchte sie ihren Atem nicht für eine Antwort zu vergeuden.
„Halten Sie mich für paranoid?“ Sie konnte es nicht ändern, ihr Ärger klang durch. Nick bemerkte es besorgt, und Ford schien verwirrt.
„Nein, so habe ich das überhaupt nicht gemeint. Na ja, das stimmt nicht ganz. Gestern Nacht dachte ich schon in die Richtung.“
„Albert Stucky verfügt über die finanziellen Mittel und die Intelligenz, überall und jederzeit zuzuschlagen. Glauben Sie ja nicht, Kansas City sei sicher, nur weil er den Mittleren Westen bisher verschont hat.“ Na bravo, sie hatte ihren Zorn unterdrücken wollen.Es ärgerte sie, dass sie nur bei der Erwähnung des Namens Stucky in die Luft ging. Wieder wich sie Nicks Blick aus, und wieder spürte sie, dass er sie beobachtete.
Ford sah sie an, aber nicht vorwurfsvoll. Er schien eher zu warten, dass sie ihre Tirade beendete. „Kann ich jetzt etwas sagen?“
„Jederzeit.“ Maggie wappnete sich mit vor der Brust verschränkten Armen und tat ihr Bestes, herausfordernd auszusehen. Ein neu erworbenes Talent.
„Gestern Abend habe ich gedacht, warum soll sich dieser Stucky von der Ostküste ausgerechnet nach Kansas City begeben? Ich weiß, dass Serienmörder sich gewöhnlich an vertrautes Terrain halten. Aber bevor ich mich heute Morgen mit Nick traf, habe ich an der Autopsie Ihrer Freundin Rita teilgenommen.“
Detective Ford sah Nick an, denn offenbar kam jetzt das, worüber sie gesprochen hatten. Er richtete den Blick wieder auf Maggie, wartete, dass er ihre volle Aufmerksamkeit hatte, und sagte: „Unserem Opfer fehlt die rechte Niere.“
25. KAPITEL
Tully sah auf seine Uhr. Dass er sich zu einem Termin verspätete, war untypisch für Cunningham. Tully lehnte sich zurück und wartete. Vielleicht ging seine Uhr wieder vor. Laut Emma war sie altmodisch und uncool.
Er studierte die große Karte an der Wand hinter dem Schreibtisch seines Chefs. Es war Cunninghams persönliches Logbuch für seine zwanzig Jahre als Leiter der Unterstützenden Ermittlungseinheit. Jede Stecknadel kennzeichnete einen Tatort, an dem ein Serienkiller zugeschlagen hatte. Und jeder Täter war mit einer besonderenFarbe von Stecknadel markiert. Tully fragte sich, wann seinem Chef die Farben ausgingen? Es gab bereits Wiederholungen. Purpur, helles Purpur und durchscheinendes Purpur.
Er wusste, dass sein Chef an einigen der schaurigsten Fälle gearbeitet hatte, einschließlich des Falles von John Wayne Gacy und dem Green River Killer. Im Gegensatz dazu war er ein absoluter Neuling mit nur sechs Jahren Erfahrung im Erstellen von Täterprofilen und das auch noch am Schreibtisch und nicht im Außendienst. Er fragte sich, wie man es schaffte, jahrzehntelang tagein, tagaus mit solchen Brutalitäten zu leben, ohne depressiv oder zynisch zu werden.
Er sah sich im Büro um. Alle Utensilien auf dem Schreibtisch, ein lederner Terminkalender, zwei Bic-Schreiber mit intakten Kappen (wie schaffte der das?), ein schlichter Notizblock ohne Kritzeleien in den Ecken und ein Namensschild aus Messing lagen gerade wie mit einem Lineal ausgerichtet. Tully fiel auf, dass das aufgeräumte, kühl wirkende Büro nichts Persönliches enthielt. Keine Sweatshirts in der Ecke, keine Miniatur-Basketbälle, nicht ein Foto. Tully wusste kaum etwas über
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