Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
darauf als Stichelei entschlüpft war.
„Das war gleich nach meinem Umzug, etwa in der letzten Januarwoche. Ich hatte den Eindruck, dass ihr noch zusammenlebt.“
„Wir hatten beschlossen, beide vorerst dort wohnen zu bleiben, weil wir ja kaum zu Hause waren. Aber ich habe Greg Silvester um die Scheidung gebeten. Das klingt vielleicht herzlos - ich wollte auch warten.“ Sie sah, wie eine Putzkolonne große Bohnermaschinen durch die Lobby schob. „Wir waren auf der Silvesterparty seiner Kanzlei. Greg wollte, dass wir das glückliche Paar mimen.“
Der Aufseher der Bohnertruppe hatte eine Klemmkladde und trug glänzende Lederschuhe. Maggie beugte sich über das Geländer, um einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Zu jung und zu groß für Stucky.
„Die Leute auf der Party gratulierten mir und hießen mich in der Kanzlei willkommen. Sie ruinierten Greg die Überraschung. Er hatte mir einen Job als Leiterin ihrer Ermittlungsabteilung besorgt, ohne mit mir darüber zu reden. Er konnte überhaupt nicht verstehen, warum ich mich nicht auf die Chance stürzte, mich durch Firmenakten zu graben und nach Fehlinvestitionen zu suchen, anstatt in Abfallcontainern nach Körperteilen.“
„Also wirklich, wie unerträglich von ihm.“
Sie wandte sich ihm zu und lächelte über seinen Sarkasmus.
„Ich bin ein Mistweib, was?“
„Ein schrecklich schönes.“
Sie spürte ihre Wangen warm werden und wandte sich wiederab. Wie widersinnig, sich sinnlich und lebendig zu fühlen, wo ihre derzeitige Lebenssituation sie doch beinah verrückt machte.
„Letzte Woche bin ich in mein eigenes Haus gezogen. In einigen Wochen sollte die Scheidung durch sein.“
„Vielleicht wärst du in eurer Wohnung sicherer gewesen. Ich meine, im Hinblick auf diese Sache mit Stucky.“
„Newburgh Heights liegt gleich außerhalb von Washington. Es ist wahrscheinlich einer der sichersten Orte in Virginia.“
„Ja, aber die Vorstellung, dass du da allein lebst, missfällt mir ziemlich.“
„Ich bin lieber allein, falls er mich holen kommt. Dann wird wenigstens kein Zweiter verletzt. Diesmal nicht.“
„Mein Gott, Maggie, du willst, dass er dich holen kommt?“
Sie wich seinem Blick aus, um darin keine Besorgnis lesen zu müssen. Seine Sorge konnte sie sich nicht auf noch als Bürde aufladen. Stattdessen beobachtete sie die mit Mopps und Kabeln hantierenden Männer in blauen Overalls. Er schob die Hand unter ihrem Arm hindurch und legte sich ihre Hand an die Brust. Sie lag warm über seinem klopfenden Herzen, und so standen sie still da und sahen zu, wie der Boden der Hotellobby gewachst und gebohnert wurde.
28. KAPITEL
Washington, D.C.,
Mittwoch, 1. April
Er konnte spüren, dass Dr. Gwen Patterson ungeduldig verfolgte, wie er mit seinem weißen Stock ihr Mobiliar abtastete, um nach einem Sitzplatz zu suchen. Nettes Zeugs. Das Büro roch sogar teuer.Feines Leder und poliertes Holz. Aber hatte er das nicht erwartet? Sie war eine Klassefrau, gebildet, kultiviert, klug und talentiert. Endlich die ultimative Herausforderung.
Er wischte mit der Hand über ihre Schreibtischplatte, berührte jedoch wenig, ein Telefon, eine Rolldatei, verschiedene Notizblöcke und einen Tageskalender, der auf Mittwoch, 1. April stand. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es der Tag für Aprilscherze war. Wie passend. Ein Lächeln unterdrückend, drehte er sich um, stieß gegen eine Anrichte und verfehlte knapp eine antike Vase. Durch das Fenster über der Anrichte sah man den Potomac. In der Spiegelung der Scheiben erkannte er, dass Dr. Patterson über sein forsches, rücksichtloses Herumtasten das Gesicht verzog.
„Das Sofa ist gleich zu Ihrer Linken“, erklärte sie ihm schließlich, blieb aber hinter ihrem Schreibtisch sitzen. Obwohl die Stimme Anspannung verriet, beherrschte sie ihre Ungeduld und brachte ihn nicht in Verlegenheit, indem sie ihre Hilfe anbot. Ausgezeichnet. Den ersten Test hatte sie bestanden.
Er streckte eine Hand aus, ertastete das weiche Leder der Armlehne und ließ sich vorsichtig nieder.
„Möchten Sie etwas zu trinken, ehe wir anfangen?“
„Nein!“ schnauzte er unnötig rüde. Invaliden ließ man solche Frechheiten durchgehen. Das war einer der wenigen Vorteile, auf die er sich freuen durfte. Um zu zeigen, dass er gar nicht so übel war, fügte er höflich hinzu: „Es wäre mir lieber, wir könnten schnell beginnen.“
Er stellte den Stock neben sich, wo er ihn leicht wieder fand, zog die Lederjacke aus und legte sie
Weitere Kostenlose Bücher