Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
konnte. Bleib ruhig, ermahnte sie sich, keinen Zorn zeigen, dass will er ja nur. „Ich habe ihn zwei Jahre lang verfolgt. Deshalb kenne ich ihn besser als jeder andere.“
„Verstehe.“ Er neigte den Kopf, als sei das absolut notwendig. „Dann ist Ihre Besessenheit vorbei, sobald Sie ihn gefangen haben?“
„Ja.“
„Und nachdem er bestraft wurde?“
„Ja.“
„Weil er bestraft werden muss, richtig?“
„Es gibt keine Strafe, die hart genug wäre für einen Albert Stucky.“
„Wirklich nicht? Der Tod wäre nicht Strafe genug?“
Sie zögerte, bemerkte seinen Sarkasmus, erwartete eine Falle und sprach trotzdem weiter. „Gleichgültig, wie viele Opfer ... wie viele Frauen er tötet, er kann nur einmal sterben.“
„Ah ja, verstehe. Und das wäre keine angemessene Bestrafung. Wie sähe eine angemessene Strafe aus?“
Sie schwieg. Diesen Köder fraß sie nicht.
„Sie möchten ihn leiden sehen, nicht wahr, Margaret O’Dell.“
Sie hielt seinem Blick stand. Nicht zurückweichen, sagte sie sich. Er wartete nur auf einen Ausrutscher, belauerte, bedrängte und zwang sie, ihren Zorn preiszugeben.
„Wie würden Sie ihn gern leiden lassen? Durch Schmerz? Durch entsetzlichen, lang andauernden Schmerz?“ Er sah sie an, sie erwiderte den Blick und weigerte sich zu sagen, was er hören wollte.
„Nein, nicht durch Schmerz“, stellte er schließlich fest, als hätte ihr Blick bereits die Antwort geliefert. „Sie bevorzugen Angst. Sie möchten, dass er leidet, indem er Angst hat“, fuhr er fast beiläufig fort, ohne Vorwurf, ohne Konfrontation, eine Einladung, sich ihm anzuvertrauen.
Maggie hatte die Hände im Schoß liegen, saß aufrecht und wich seinem Blick nicht aus, während Wut ihr fast den Magen umdrehte.
„Sie wollen, dass er dieselbe Angst, dasselbe Gefühl der Hilflosigkeit empfindet wie seine Opfer.“ Er lehnte sich im Sessel vor, und dessen Knarren wirkte in der Stille besonders laut. „Dieselbe Angst, die Sie hatten, als er Sie in die Falle lockte. Als er Sie verletzte, als sein Messer in Ihre Haut schnitt.“ Er machte eine Pause und studierte sie.
Maggie hatte das Gefühl, im Zimmer sei es erstickend heiß geworden mit zu wenig Atemluft. Sie unterließ es jedoch, die feuchten Haare aus der Stirn zu streichen, und widerstand der Versuchung, an der Unterlippe zu nagen. Ruhig und stumm erwiderte sie seinen Blick.
„Ist das nicht so, Margaret O’Dell? Sie möchten Mr. Albert Stucky sich winden sehen, wie Sie sich gewunden haben.“
Sie verabscheute, dass er von Stucky derart respektvoll als Mister sprach. Was fiel ihm ein?
„Zu sehen, wie er sich auf dem elektrischen Stuhl windet, reicht Ihnen nicht aus“, bedrängte er sie weiter.
Maggie begann die Hände im Schoß zu ringen. Ihre Handflächen waren schweißnass. Warum war es so verdammt heiß im Zimmer? Ihre Wangen brannten, der Kopf tat ihr weh.
„Nein, der elektrische Stuhl ist keine angemessene Bestrafung für seine Taten, nicht wahr? Sie haben eine bessere Bestrafung im Sinn. Und wie soll die nach Ihrer Vorstellung angewandt werden, Margaret O’Dell?“
„Indem er mich ansieht, wenn ich diesem gottverdammten Scheißkerl zwischen die Augen schieße!“ platzte sie heraus, und es war ihr gleichgültig, dass sie soeben in Dr. James Kernans psychologische Falle getappt war.
33. KAPITEL
Tess McGowan versuchte die Augen zu öffnen, doch die Lider waren zu schwer. Ihr gelang ein kurzes flackerndes Hochziehen, sie sah einen Lichtblitz, dann wieder Dunkelheit. Sie saß aufrecht, doch die Erde unter ihr bewegte sich mit ständigem Rumpeln und Vibrieren. Irgendwo sang eine sanfte tiefe Stimme mit Countryschmelz darüber, wie man Menschen, die man liebt, unbewusst kränkt.
Sie konnte sich nicht bewegen. Die Arme waren schlaff, die Beine wie Beton. Halterungen über Schulter und Schoß hielten sie aufrecht. Ein Auto. Ja, sie war in einem Auto festgeschnallt. Daserklärte die Bewegung, die Vibration und die gedämpften Geräusche. Es erklärte nicht, warum sie die Augen nicht öffnen konnte.
Sie versuchte es wieder. Ein weiteres Flackern. Scheinwerfer flammten auf, ehe ihr die schweren Lider wieder zufielen. Es war Nacht. Wie konnte das sein? Es war doch gerade erst Morgen gewesen, oder?
Sie lehnte sich gegen die Kopfstütze und nahm schwach einen Jasminduft wahr. Ja, sie erinnerte sich, vor einigen Tagen hatte sie ein neues Duftkissen gekauft und unter dem Beifahrersitz angebracht. Demnach war sie in ihrem eigenen
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