Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
Wagen.
Feststellung und Geruch beruhigten sie bis zu dem Moment, als ihr klar wurde, dass jemand den Wagen fahren musste. Daniel etwa? Warum konnte sie sich nicht erinnern? Warum reagierte ihr Hirn so benebelt? Hatte sie sich etwa wieder betrunken? Allmächtiger! Hatte sie wieder einen Fremden abgeschleppt?
Sie drehte den Kopf leicht zur Seite, ohne ihn von der Kopfstütze zu nehmen. Die Bewegung war eine ungeheure Anstrengung, jeder Zentimeter ging wie in Zeitlupe. Noch einmal versuchte sie, die Augen zu öffnen. Zu dunkel, aber sie erkannte Bewegung. Die Lider fielen wieder herunter.
Sie lauschte und konnte jemand atmen hören. Sie öffnete den Mund, um zu fragen, wohin sie fuhren. Das war eine einfache Frage, doch sie brachte keinen Ton heraus. Sie hörte ein Aufstöhnen, aber das kam nicht von ihr. Dann verlangsamte der Wagen das Tempo. Es folgte ein leises elektrisches Surren. Tess spürte Zug, roch Teer und wusste, dass das Fenster offen war. Der Wagen hielt mit laufendem Motor. Abgase verrieten ihr, dass sie im Stau steckten. Erneut versuchte sie vergeblich, die Augen zu öffnen.
„Guten Abend, Officer“, sagte eine tiefe Stimme vom Sitz nebenan.
War das Daniel? Die Stimme klang vertraut.
„Guten Abend“, erwiderte eine zweite Stimme laut. „Oh, Entschuldigung“, fügte der Mann leise hinzu, „habe nicht gesehen, dass Ihre Frau schläft.“
„Was ist los?“
Das wollte Tess allerdings auch wissen. Was war hier los? Warum konnte sie sich nicht bewegen und die Augen nicht öffnen? Welche Frau schlief denn da? Meinte der Officer sie?
„Wir räumen eine Unfallstelle auf der anderen Seite der Mautbrücke. Dauert nur ein, zwei Minuten. Dann lassen wir Sie durch.“
„Nur keine Eile“, erwiderte die Stimme viel zu ruhig.
Nein, das war nicht Daniel. Daniel hatte es immer eilig. Er würde den Officer von seiner Wichtigkeit überzeugen und erst mal eine Szene machen. Wie sie das hasste, wenn er sich so aufführte. Aber wenn das nicht Daniel war da neben ihr, wer dann?
Allmählich keimte Panik in ihr auf. „Nur keine Eile?“ Ja, die Stimme klang vertraut.
Es dämmerte ihr.
„Sie riechen recht nett“, hatte diese Stimme ihr gesagt. Stück für Stück erinnerte sie sich. Das Haus am Archer Drive. Er hatte das große Schlafzimmer sehen wollen. „Ich hoffe, Sie sind nicht gekränkt.“
Er hatte ihr Gesicht sehen wollen. „Es ist wirklich ziemlich schmerzlos.“ Nein, er hatte ihr Gesicht betasten wollen. Seine Hände, seine Finger waren auf ihren Haaren, ihren Wangen, ihrem Nacken gewesen. Er hatte ihr die Hände um die Kehle gelegt und zugedrückt. Sie konnte nicht atmen, sich nicht bewegen. Schwarze Augen und ein Lächeln. Ja, er hatte gelächelt, als er sie würgte. Es tat weh. Aufhören! Es tat so schrecklich weh. Er schlug ihr den Kopf gegen die Wand, und es schmerzte entsetzlich. Sie wehrte sich mit Händen und Nägeln. Oh Gott, er war so stark.
Sie hatte den Einstich der Nadel tief im Arm gespürt, eine Hitzewelledurchströmte ihre Adern, dann hatte sich der Raum gedreht.
Jetzt versuchte sie, diesen Arm wieder zu heben. Er bewegte sich nicht und tat weh. Was hatte der Kerl ihr gegeben, wer war er überhaupt? Wohin brachte er sie? Sogar die Angst war in ihr gefangen, schien ihr wie ein Klumpen tief in der Kehle zu sitzen und wollte hervorbrechen. Doch sie konnte sich nicht wehren oder weglaufen, sie konnte nicht mal schreien!
34. KAPITEL
Maggie hatte die Abfahrt nach Quantico keines Blickes gewürdigt und war nach ihrer Sitzung mit Kernan gleich nach Haus gefahren. Sitzung? Das war ein Witz gewesen. Sie schüttelte den Kopf und ging im Wohnraum auf und ab. Die einstündige Fahrt von Washington hatte ihren Zorn nicht mal ansatzweise gedämpft. Welche Sorte Psychologe weckte in seinen Patienten den Drang, die Faust durch die Wand zu schlagen?
Sie bemerkte ihre Taschen am Fuß der Treppe, noch voll gepackt von der Reise nach Kansas City. In den Zimmerecken stapelten sich die Kisten, und ihre Nerven lagen blank. Sie spürte die Verspannung im Nacken, und ihr Kopf begann schmerzhaft zu pochen. Sie erinnerte sich nicht an ihre letzte Mahlzeit. Vermutlich im Flieger letzte Nacht.
Sie erwog, sich umzuziehen und eine Runde zu laufen. Es wurde dunkel, aber das hatte sie früher nicht gestört. Was sie jetzt zögern ließ, war die Möglichkeit, dass Stucky sie beobachtete. War er aus Kansas City zurück? Lauerte er da draußen irgendwo in einem Versteck? Sie ging von Fenster zu Fenster und
Weitere Kostenlose Bücher