Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
Hornisten geblasene letzte Zapfenstreich sie an den Rand eines Tränenausbruchs bringen würde.
Sie wollte fliehen. Niemand würde es bemerken. Alle waren mit Erinnerungen und der eigenen Rührung beschäftigt. Doch sie schuldete es Delaney zu bleiben. Ihre letzte Unterhaltung war von Zorn und dem Gefühl, verraten zu werden, geprägt gewesen. Für Entschuldigungen war es zu spät. Zu bleiben vermittelte ihr jedoch ein Gefühl von Wiedergutmachung, vielleicht sogar von erteilter Vergebung.
Der Wind peitschte sie erneut und wirbelte knisternd trockene Blätter auf, die zwischen den Gräbern schwebten wie Geister. Sein Heulen, das wie unheimliches Stöhnen klang, ließ Maggie frösteln. Als Kind hatte sie geglaubt, die Geister der Toten würden sie umgeben, sie necken und auslachen, weil sie ihr den Vater genommen hatten. Da hatte sie zum ersten Mal die große Einsamkeit gespürt, die an ihr haften geblieben war wie die feuchte Erde, die sie zwischen den Fingern gequetscht hatte, während die Mutter sie drängte, sie endlich ins Grab zu werfen.
„Wirf, Maggie!“ konnte sie die Mutter noch zischeln hören. „Tue es, und bring es hinter dich!“ hatte sie ungeduldig hinzugefügt, eher peinlich berührt, als um die Trauer der Tochter besorgt.
Eine behandschuhte Hand berührte Maggie an der Schulter. Sie zuckte zusammen und widerstand dem Drang, in ihre Jacke nach der Waffe zu greifen.
„Tut mir Leid, Agentin O’Dell, ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Kyle Cunningham, ihr Chef, ließ die Hand auf ihrer Schulter, den Blick beobachtend geradeaus gerichtet.
Maggie hatte geglaubt, sie sei die Einzige, die sich nicht mit den anderen um das frisch ausgehobene Grab drängte, dieses Loch im Boden, das die sterblichen Überreste von Spezialagent Richard Delaney aufnehmen würde. Warum war er bloß so vorwitzig gewesen, so dumm?
Als lese er ihre Gedanken, sagte Cunningham: „Er war ein guter Mann, ein ausgezeichneter Verhandlungsführer.“
Maggie hätte gern gefragt, warum er dann hier lag und sich nicht am Samstagnachmittag zu Hause bei Frau und Töchtern als Zuschauer auf ein College-Footballspiel freute? Stattdessen flüsterte sie zurück: „Er war der Beste.“
Cunningham schob nervös die Hände tief in die Taschen seines Trenchcoats. Sie bemerkte, dass er sich so hingestellt hatte, um sie vor dem Wind zu schützen. Allerdings würde er sie niemals damit in Verlegenheit bringen, ihr seinen Mantel anzubieten. Sie vor Kälte zu schützen, war jedoch nicht sein eigentliches Anliegen. Offenbar hatte er etwas auf dem Herzen. Nach zehn Jahren erkannte sie das Schürzen der Lippen, das Runzeln der Stirn und das unruhige Verlagern des Gewichtes von einem Fuß auf den anderen als verräterische Anzeichen bei einem Mann, der normalerweise die nüchterne Professionalität selbst war.
Es überraschte Maggie ein wenig, dass er offenbar auf einen geeigneten Zeitpunkt wartete.
„Wissen wir etwas mehr über diese jungen Männer - welcher Gruppe sie angehörten?“ versuchte sie ihn mit leiser Stimme aus der Reserve zu locken. Sie standen weit genug von den anderen entfernt und würden auf Grund des Windgeheuls ohnehin nicht belauscht werden.
„Noch nicht. Sie waren noch Jungen, aber mit genügend Gewehren und Munition, um ein kleines Land zu erobern. Dahinter steckt jedoch eindeutig jemand anders. Irgendein fanatischer Anführer, der kein Problem damit hat, seine Anhänger zu opfern. Wir werden es bald wissen. Vielleicht nachdem wir festgestellt haben, wem diese Hütte gehört.“ Er schob seine Brille am Nasenbügel hinauf und steckte die Hand sofort wieder in die Tasche. „Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Agentin O’Dell.“
Erstaunlicherweise zögerte er ein zweites Mal. Sein deutliches Unbehagen machte sie noch nervöser, als sie es ohnehin war, da sie an ihren verkrampften Magen und den Schmerz in der Brust erinnert wurde. Sie wollte nicht über Delaneys Tod reden, sondern sich ablenken und nicht immer daran denken müssen, wie er getroffen zu Boden stürzte. Die noch frische Erinnerung an das Plätschern der Hirnflüssigkeit im Leichensack war schrecklich genug.
„Sie müssen sich nicht entschuldigen, Sir. Sie haben es ja nicht gewusst“, sagte sie schließlich, als die Pause zu lang wurde.
Die Augen geradeaus gerichtet, widersprach er mit leiser Stimme: „Ich hätte es überprüfen sollen, ehe ich Sie hinschickte. Ich weiß, wie schwer das für Sie gewesen sein muss.“
Maggie streifte ihn mit
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